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Mit einem Nachwort von Evelyne Polt-Heinzl
248 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
€ 24.00
ISBN 978-3-903184-35-0
ICH WAR EIN HÄSSLICHES MÄDCHEN
Annemarie Selinko verfolgt mit diesem gewitzten Roman ein emanzipiertes Anliegen: Frauen, trefft eure Entscheidungen selbst! Ein köstliches Stück Unterhaltungsliteratur, das uns einmal mehr aufzeigt, wie sehr sich die Werteordnung unserer Gesellschaft stetig verändert.
Es ist doch ein Kreuz mit dem Aussehen. Dauernd vergleicht man sich mit anderen, dauernd gibt es etwas zu bemängeln oder zu bezweifeln. So denkt auch die 18-jährige Anneliese, die gerade mit Ach und Krach die Matura geschafft hat, zu Beginn des Romans. Anneliese findet sich nicht hübsch genug, sie würde lieber so aussehen wie ihre ältere Schwester Inge, bei der die Männer Schlange stehen. Anneliese lebt in Wien und zu einer Zeit, da es als erste Pflicht für Frauen gilt, früh zu heiraten – und zwar eine gute Partie, damit die ganze Familie davon profitiert. Anneliese lebt in der Annahme, dass die schönsten Frauen auch die schönsten Ehen führen. Aber wie soll sie das alles bewerkstelligen?
Auf dem Fest ihrer reichen Tante lernt sie den bekannten Schauspieler und Bühnenautor Claudio Pauls kennen, sie trinkt zu viel und ist vorlaut wie immer. Pauls findet die junge Frau sympathisch und nimmt sich ihrer an. Er rät ihr, mehr aus ihrem Aussehen zu machen, wenn sie schon darunter leidet. Und er rät ihr, einen Beruf zu ergreifen, selbstständig zu werden und nicht alle Zukunftsentscheidungen von ihren Eltern treffen zu lassen.
Gesagt, getan, Anneliese findet eine Stelle als Verkäuferin in einem Strickwarengeschäft und lässt sich im Kosmetik- und Friseurstudio vom Mädchen zur Frau umgestalten … und wohin führt das alles? Es wäre nicht Annemarie Selinko, wenn es kein vergnügliches Ende nähme.
Ich war ein hässliches Mädchen erschien erstmals 1937, wurde in zwölf Sprachen übersetzt und mit Sonja Ziemann, Karl-Heinz Böhm und Dieter Borsche verfilmt.
Claudio will, dass ich meine Geschichte aufschreibe. Ich habe ihn gefragt, was das für einen Sinn haben soll. Da lachte Claudio und meinte, er werde mir das in einiger Zeit erklären …
Ich glaube, mein Leben begann erst in dem Augenblick, als ich einem Herrn, der Claudio Pauls hieß, begegnete. Um ganz genau zu sein: Mein Leben begann an einem Mittwoch im Frühsommer zwischen halb elf und halb zwölf Uhr nachts.
Damals war ich achtzehn Jahre alt, und meine Eltern wussten nicht, was sie mit mir anfangen sollten. Eine Woche vorher hatte ich Matura gemacht. Mein Vater, der in der Vorkriegszeit ein sehr reicher Mann gewesen sein soll, sagte oft: »Ich kann meinen Kindern nichts als gute Schulbildung mit auf den Lebensweg geben.« Unter guter Schulbildung verstand er acht endlose Schuljahre in einem Gymnasium. Ich habe nie darüber nachgedacht, warum ich in diese Schule ging, ich war eine sehr mittelmäßige Schülerin, ich langweilte mich während der meisten Unterrichtsstunden entsetzlich, und vor Prüfungen und Professoren hatte ich eine geradezu körperliche Angst. Wenn ich geprüft wurde, so schien plötzlich mein Herz im Hals zu klopfen, ich konnte kaum sprechen. Es war eine ziemlich ekelhafte Zeit.
Dann brachte ich mein Maturazeugnis nach Hause. Mathematik genügend, Latein genügend, Griechisch genügend, Deutsch gut, Naturgeschichte genügend, Geschichte/Geografie gut. Ein sehr armseliges Zeugnis, aus dem alle ersahen, dass ich leider über gar keine besonderen Fähigkeiten verfügte.
Nun saß die ganze Familie um den runden Speisezimmertisch und beriet über meine Zukunft. Meine Familie: Vater, der in jener Zeit stets materielle Sorgen hatte und leicht gereizt war, Mutter, die gern seufzte und nervös wurde, wenn man ihr widersprach, und meine schöne Schwester Inge, auf die alle Hoffnungen der Familie aufgebaut waren. Vater meinte, ich sollte den Abiturientenkurs der Handelsakademie besuchen, um später in irgendeinem Büro einen Posten zu finden. Mutter war für eine Haushaltungsschule, ich könnte dann daheim helfen, vielleicht würde man später nur mit einer Bedienerin auskommen. Inge löste Kreuzworträtsel, sie sah nur einmal auf, blickte uns starr an und fragte gequält: »Kann mir denn niemand helfen? Eine biblische Persönlichkeit mit drei Buchstaben …?«
Ich beneidete Inge im Stillen, weil sie niemals Berufssorgen hatte. Sie ist zwei Jahre älter als ich, und nach ihrer Matura bekam sie hübsche Kleider, ging mit Mama zu Bällen, ins Theater und besuchte sehr viele Gesellschaften. Von Zeit zu Zeit lernt sie einen jungen Mann kennen, Papa erkundigt sich über seine Vermögensverhältnisse, heimlich, natürlich ganz heimlich, und wenn Papa mit der Auskunft zufrieden ist, darf sie dann mit ihm ausgehen und ihn für Sonntagnachmittag zum Tee einladen. Bisher sind alle diese jungen Männer ein paar Sonntage lang erschienen, dann blieben sie aus.
Inge reißt Witze über sie, aber ich weiß, dass sie sich heimlich kränkt. Es bedrückt sie sehr, dass die Familie von ihr eine reiche Heirat erwartet, damit Papa keine Schulden mehr machen muss und wir nach unserem alten Standard leben können.
Wir haben nämlich einen gewissen Standard. Sehr oft wird davon gesprochen. »Von diesem Standard darf man nicht abgehen«, sagt Papa, und Mama meint: »Schon der beiden Mädchen wegen nicht, es ist eine Investition in die Zukunft der Kinder.« Aber damit war vor allem Inge gemeint, denn von meiner Zukunft versprach sich niemand sehr viel. Ich bin überzeugt, dass Inge zuletzt doch noch einen sehr reichen, vielleicht älteren Herrn heiraten wird. Sie ist so schön. Das bemerkte ich jeden Abend, wenn Inge zu Bett ging und vorher noch in ihrem langen hellrosa Nachthemd
vor dem Spiegel hockte und ihre Wimpern mit Vaseline bürstete, sie sollten noch länger und noch seidiger werden. Aber dass ich sehr hässlich war, wusste ich damals noch nicht. Das erfasste ich erst, als Claudio mich betrachtete.
Claudio lernte ich ein paar Tage nach meiner Matura bei Tante Elsa kennen. Jeder Mensch hat sogenannte vornehme Verwandte. Unsere vornehmen Verwandten war die Familie von Tante Elsa. (Wir waren zwar genauso vornehm, nur hatten wir leider immer zu wenig Geld.) Tante Elsa führte ein großes Haus, sie lud alle berühmten Künstler zu großen Empfängen ein. Dass sie manche persönlich nur sehr flüchtig kennt, stört sie gar nicht. Und die Künstler kommen zu ihr, weil bei Tante Elsa Bankdirektoren und Großindustrielle verkehren und weil Künstler immer vor Leuten mit aufregend viel Geld großen Respekt haben. Dagegen platzen Bankdirektoren beinahe vor Stolz, wenn sie mit berühmten Künstlern Tee trinken können. Wegen der reichen Leute kommen auch viele Staatsbeamte zu Tante Elsa. Die wollen wiederum von den Großindustriellen Empfehlungen an den Handelsminister, damit sie bei Gelegenheiten für Auszeichnungen und Beförderungen nicht
vergessen werden. Dagegen suchen Bankdirektoren und Großindustrielle Freunde unter Staatsbeamten, weil man von denen gesprächsweise doch ganz interessante Informationen bekommt und weil man nie wissen kann, ob ein Staatsbeamter nicht bis zum Sektionschef vorrückt und einmal Minister wird.
Tante Elsa hatte meine Mutter auf der Straße getroffen und so von meiner Matura erfahren. Sie wollte nun besonders freundlich sein – nein, kein Maturageschenk, so weit ging die Freundschaft wieder nicht! – und lud mich für den nächsten Mittwochabend zu sich ein. »Es ist ein Empfang zu Ehren von Claudio Pauls«, bemerkte sie nebenbei. Aber es war natürlich nicht nebenbei gemeint und verfehlte auf meine Mutter nicht die Wirkung.
Annemarie Selinko erblickte 1914 als Tochter eines jüdischen Textilfabrikanten das Licht der Welt und zählte zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Unterhaltungsschriftstellerinnen ihrer Zeit. Annemarie Selinko war mit einem dänischen Diplomaten verheiratet und schloss sich während des Zweiten Weltkriegs der dänischen Widerstandsbewegung an. 1943 wurde sie von der Gestapo verhaftet; nach gelungener Flucht nach Schweden arbeitete sie wieder als Journalistin und gegen Kriegsende als Dolmetscherin für das Rote Kreuz.
Gerade mal vier Romane hat die Autorin verfasst, ihr erfolgreichster, der 1951 veröffentlichte Weltbestseller „Desirée“, wurde bereits drei Jahre später mit Jean Simmons und Marlon Brando in den Hauptrollen verfilmt. Die Autorin hat dieses Buch ihrer von den Nationalsozialisten ermordeten Schwester gewidmet.
Vergangenes Jahr hat der Milena Verlag den Roman „Heute heiratet mein Mann“ neu aufgelegt. Und auch davon gibt es eine Filmadaption – mit Liselotte Pulver und Johannes Heesters. Vor Kurzem ist eine Neuauflage von Annemarie Selinkos Debütroman aus dem Jahr 1937 erschienen: „Ich war ein hässliches Mädchen“ lautet der Titel.
Mit diesen Worten beginnt der Roman „Ich war ein hässliches Mädchen“. Anneliese heißt die 18-jährige Ich-Erzählerin, die gerade erst maturiert hat – mit einem eher armseligen Zeugnis. Nun stellt sich die Frage, wie es mit ihr weitergehen soll. Anneliese ist weder hübsch noch besonders intelligent – so ihre Selbsteinschätzung, die sie von ihrem Umfeld auch bestätigt bekommt. Im Gegensatz zu ihrer schönen Schwester Inge kann sie nicht damit rechnen, einen vermögenden Ehemann abzubekommen. Genau das erwarten die Eltern nämlich von Inge. Die gutbürgerliche Familie ist – so wie viele andere auch – nach 1918 in ökonomische Bedrängnis geraten. Der gewohnte Lebensstandard soll durch eine lukrative Ehe aufrechterhalten werden.
„Was auf dem Heiratsmarkt ein Wettbewerbsnachteil sein mag, ist für Anneliese ein großer Vorteil: Sie ist freigespielt von der Verantwortung für die Familien-Errettung.“
Schreibt die Literaturwissenschaftlerin Evelyne Polt-Heinzl im Nachwort des Romans. Doch richtig bewusst wird Anneliese das erst, als sie den berühmten Schriftsteller und Schauspieler Claudio Pauls auf einer Gesellschaft ihrer Tante kennenlernt.
Unter Claudio Pauls Anleitung lässt sich Anneliese zu einer Gesellschaftsdame modellieren. Das beginnt zunächst damit, dass sie sich ihrem Vater widersetzt und anstelle einer Handelsakademielehre an der Kassa eines vornehmen Damen-Strickwarengeschäfts in der Kärntner Straße arbeitet. Ihr Gehalt verwendet sie für regelmäßige Termine im Friseur- und im Kosmetikstudio. Und das sind nicht irgendwelche Studios: Über Claudio Pauls Theaterkollegin Theodora Raymond wird Anneliese Kundin in zwei exklusiven Wiener Salons.
„Ich war ein hässliches Mädchen“ ist auf den ersten Blick eine Variation der Pygmalion-Geschichte. „Das hässliche Entlein“ Anneliese, wie Claudio sie liebevoll nennt, verwandelt sich nach und nach in einen attraktiven Schwan. Es ist eine ausgesprochen unterhaltsame Geschichte, deren Oberfläche eine ideale Vorlage für das Wohlfühlkino der 1950er Jahre lieferte, schreibt Evelyne Polt-Heinzl im Nachwort:
„Anders als bei Selinkos deutlich politischer positionierten Romanen aus den Jahren nach dem Einmarsch Hitlers, konnte Wolfgang Liebeneiners Verfilmung 1955, mit Sonja Ziemann als Anneliese und Dieter Borsche als Claudio Pauls, das Grundgerüst des Romans eins zu eins übernehmen. Dass zeithistorisch relevante Details und verborgene Dimensionen dabei wegfielen, war kaum von Bedeutung, auch späteren Leserinnen und Lesern blieb diese Ebene wohl meist verborgen.“
Annemarie Selinko war 23 Jahre alt, als ihr Debütroman erschien. In „Ich war ein hässliches Mädchen“ gibt sie Einblick in damals vorherrschende bürgerliche Konventionen und sie schreibt mit viel Ironie über den auch damals herrschenden Schönheitswahn.
Wer schön sein will, muss leiden – das bekommt die Ich-Erzählerin bei ihren ersten Salonbesuchen zu spüren. Haare werden entfernt, gefärbt, gelegt; die Poren im Gesicht aufwändig verfeinert, Lippen bemalt, Wimpern getuscht und schlussendlich braucht es noch eine neue, feine Garderobe. Das Verschönerungsexperiment wird zu einem Erfolg.
Genau diese Schlussfolgerung ist auch die Moral der Geschichte: Das Aussehen einer Person sollte nicht die Basis einer Liebesbeziehung sein. Annelieses neues Aussehen ist es nämlich, das Thomas, einen attraktiven jungen Mann aus vornehmer Familie, auf sie aufmerksam macht. Die beiden werden ein Paar. Allerdings ist da immer noch Claudio, der im Gegensatz zu Thomas hinter die Fassade von Anneliese blickt. Annemarie Selinkos Debütroman ist die perfekte Sommerlektüre und macht Lust auf mehr Geschichten der 1986 in Kopenhagen verstorbenen Autorin.
ORF, Ö1, ex libris