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Buchreihen
€ 24.00
ISBN 978-3-903460-25-6
230 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag, Leseband
MADAME GEHT AUF REISEN
Ein höchst charmanter, sehr humorvoller Roman aus den Sechziger Jahren, als Frauen noch sehr beschränkte berufl iche Möglichkeiten hatten – wer die soziale Leiter hinaufklettern wollte, musste reich heiraten. Als Delia Fintsch im Lotto gewinnt, verändert das ihr Leben, sie kauft ein Auto und reist nach Paris.
Delia Fintsch steht kurz vor ihrem vierzigsten Geburtstag. Sie hat zwei Beziehungen hinter sich, eine mit einem jungen Mann, eine mit einem alten Mann. Beide hatten Geld. Geld zu haben ist nicht schlecht, das merkt Delia, als es weg ist. Sie spielt Lotto und gewinnt plötzlich 350.000 Mark, eine stolze Summe für die 1960er Jahre, in denen der Roman spielt.
Nun dreht sich das Blatt: Wünschte sich Delia zuvor noch einen vermögenden Partner für ihre langersehnte Heirat und freute sich über jede halbwegs gute Partie, muss sie jetzt aufpassen, dass nicht sie aufgrund ihres Vermögens ausgesucht wird! Aber erst mal den neuen Reichtum genießen: Delia macht eine Reise. Sie erwirbt ein Automobil und fährt mit ihrer Freundin Luise nach Paris. Dann nach Deutschland in eine Burg, der Burgherr hat es ihr sehr angetan …
Zum Treffpunkt der Abreise schleppten Delia und Luise die Koffer selbst, da Frau Marguweit nicht einsah, weshalb sie, die Zurückgebliebene, auch noch Koffer schleppen sollte, diese Zumutung konnte ihr keiner schwarz auf weiß.
Sie versprach aber, in Delias Abwesenheit eine neue Wohnung für sie zu suchen – eine Tätigkeit, die ihrem geduldigen Temperament entgegenkam. Sie ging gern von Tür zu Tür und brachte die Sätzchen hervor, die ihr angemessen schienen: »Ich bin es nich selbst, die ’ne nette Wohnung braucht, Madame is es, ’ne feine Person, aber kann ja nich selber auf Suche geh’n, wennse nich vorhanden is, drum jeh ick an ihrer Stelle, denn, sehn Se, Madame is nich in der Lage dazu, Madame is verreist.«
Seltsamerweise entsprach Delias Laune nicht der einer seligen Ferienreisenden.
»Ich weiß nun bei Gott nicht, wozu ich das viele Geld verpökelt habe, wenn ich Koffer selbst schleppe und dann im Bus sitze, der unerträglich heiß ist, vollgepfropft mit Menschen, und auf Sitzen, die schmäler sind als ich selbst!«
Dieser Seufzer entfuhr ihr nach etlichen Stunden Fahrt. Der Bus war, des Zuges wegen, fest verschlossen, nur ein Fenster stand offen, aber dort saß sie nicht. Die Mitreisenden waren so uninteressant wie Pusteblumen, einander sonderbar ähnlich, und vom Wind des Lebens teilweise bereits verblasen. Es gab außer dem Reiseleiter nur drei Männer unter den Busgefährten, und auch sie glichen Feldern, durchfurcht für die Wintersaat.
Der einzig reguläre Mann war der Chauffeur, klein, aber geschmeidig, sonnverbrannt und hübsch. Mit seinen lustig-listigen Augen sah er genau wie der Mann aus, der nicht das Geringste dagegen haben würde, dreihundertfünfzigtausend Mark auf nicht allzu mühsamem Weg zu erringen.
Delia wandte den Blick trübe von ihm ab. In normalen Zeiten hätte sie ihn, den Blick, nicht abgewandt, aber sie befand sich unbestrittenerweise auf ihrer ersten und hoffentlich letzten Brautfahrt, deren Ergebnis nicht lustig-listige Windbeutelei zu sein hatte, sondern Zuversicht angesichts legitim ordentlichen Gebarens.
Der Bus stockte. Er war die steile Straße dumpf röhrend hinaufgerattert, jetzt stand er still und bewegte sich rückwärts wieder hinab.
Die übergroße, rotgesichtige Dame, die vor Delia saß, lachte und fragte »Kesskessee«. Sie sprach französisch, sie fuhr nach Paris und hatte sich dementsprechend vorbereitet.
»Na – der kocht ja, parblöö«, sagte sie heiter und benützte die Wartepause, um Delia mitzuteilen, dass die Sonne prall herabschiene auf den Bus. Sie käme sich, excusé, des Schweißes wegen vor, als säße sie in einem Prießnitzumschlag von oben bis unten.
Das blauschwarze Haar, die braunrote Haut, die kühne Nase – Winnetou, dachte Delia, Winnetou in gereiften Jahren. Sie bewunderte die Kraft der beharrlich plaudernden Dame. Die Folies Bergère wollte sie sehen, den Eiffelturm erklimmen, auf dem Montmartre tanzen. Mit wem?, dachte Delia, aber Winnetou brachte es sicher fertig, einige Bleichgesichter an den Marterpfahl ihres Busens zu fesseln.
»Ich habe«, sagte sie jetzt drohend, »mein Geld nicht in die Reise gepfeffert, um stecken zu bleiben!«
Der Bus kroch wieder bergan und schwankte zurück.
»Ich kriege ihn hoch«, sagte der geschmeidige Fahrer, »wenn die Herrschaften aussteigen und bisschen anschieben … na, krabbeln Sie raus, sonst kleben wir endlos … ich schwitze …«
Die Fahrgäste krochen aus dem Bus.
»Ich schiebe mit an!«, rief Winnetou, mit plötzlich erwachter Lust an bewährten Kräften. Sie stemmte sich hinten an den Wagen und rief munter die Herren zu sich heran. Die Damen hingegen benützten die Gelegenheit. Sie trabten verschämt in das Wäldchen am Straßenrand, erklommen den Hügel und verschwanden zwischen Büschen und Stämmen. Auch Delia und Luise verschwanden. Sie wählten ein höheres, aber stachliges Gestrüpp.
»Nein!«, sagte Delia plötzlich. »Nein, ich habe es satt, ich fahre nicht weiter! In der nächsten Stadt steige ich aus, egal welche Stadt es ist. Das hier«, sie deutete zornig auf die Straße hinunter, »ist eine triste Strapaze, keine Reise, in diesem stinkenden alten Ding, das ja wohl dauernd stecken bleibt! Das langt mir, das hatte ich nicht im Sinn, als ich die Brieftasche zückte im Reisebüro. Ich sage, dass ich krank geworden bin, dass ich Fieber habe, und murmele was von Ansteckung für die andern. Das Fahrgeld werden sie mir ja wohl zurückgeben, irgendwann. Aber jedenfalls steige ich aus!«
»Und dann –?«, fragte Luise, aus der Hocke heraus, ihr Rock hing am Brombeergestrüpp und sie kam nur langsam hoch.
»Dann«, sagte Delia und ihr Gesicht verklärte sich anmutig, »dann kaufe ich einen Wagen, gebraucht oder ungebraucht, in jeder Stadt kann ich ihn kriegen, und dann reisen wir richtig wie Leute, die eine Reise machen. Ich kann ja nicht fahren, aber du kannst es!«
»Jawohl, kann ich es«, rief Luise, sprang aus der Hocke und traf Anstalten, Delia zu küssen und zu umarmen, »ich freue mich wahnsinnig! Denk nur, wenn wir erst unseren Wagen haben! Ich bin ja lange nicht gefahren, aber bis ich mich einfahre, gebe ich fast kein Gas …«
Als sie wieder einstiegen, fragte Delia den Fahrer, wie weit es noch sei bis zur nächsten Stadt.
»Welche meinen Sie?«, fragte der heiter geschmeidige Jüngling und sah sie aus goldbraunen Augen an.
»Na, die nächste! Welche, ist ja wohl ziemlich egal! Mir ist scheußlich schlecht, ich vertrage das Fahren nicht, Fieber habe ich auch, und wenn ich Bazillen habe, stecke ich den ganzen Karren an –«
»Nanu«, sagte der Jüngling galant, »dass Sie es sind, die uns verlassen will! Was dann noch bleibt, ist ja nicht gerade ’ne Augenweide …«
Delia glänzte geschmeichelt auf. Aber im nächsten Augenblick fuhr er sinnend fort: »Auf der letzten Tour hatt’ ich bloß Mädels, ’ne Schule, wissen Sie, und alle so sechzehn, siebzehn, sie plapperten unentwegt, aber was sie plapperten, denken Sie, das war hörenswert, selbst für mich. Na, tolle Dinger …«
Schon wieder die Siebzehnjährige!
»Schön. Was mich betrifft, steige ich aus, und meine Freundin ebenfalls. Ich hoffe, Sie holen die Koffer raus.«
»Wenn sie bloß nicht weit hinten sind –«
»Auch die hintersten holen Sie raus!«, sagte Delia energisch, »sonst beschwere ich mich bei Ihrer Gesellschaft …«
»Na, die –«, sagte der junge Mann lässig, »die sind ja froh, dass sie mich haben! Außerdem mache ich nicht mehr lange mit. Hab mir selbst ’nen Bus gekauft, denn die Damen und Herren sind ja großzügig auf Reisen und merken ja, dass man mit Vorsicht fährt. (Nicht eine Mark!, dachte Delia erbittert.) Nee, da beschweren Sie sich man ruhig. Aber ich hole die Koffer raus, damit Sie sehen, dass ich ’ne Dame nicht im Stich lasse, das tut Peter Timmelmann nicht. Herr Knauer!«, rief er in den Wagen hinein. »Kommense mal angetippelt, die Dame steigt aus im nächsten Städtchen, notieren Sie mal die Chose, und notieren Sie auch gleich mit, dass ich Zulage kriege, weil ich die Ehre habe, das ganze Gepäck raus- und wieder reinzujonglieren, wozu ich durchaus nicht verpflichtet bin ohne Hilfe –«
»Ich helfe Ihnen!«, ächzte Herr Knauer, aber Timmelmann lachte nur.
»Schonen Sie sich, aber tragen Sie Überstunden ein, da ich abladen soll und vorhabe, ein Bier zu trinken, oder auch zwei, wenn ich ablade –«
Herr Knauer notierte irgendetwas, er sah eingeschüchtert und unglücklich aus, und sämtliche Fahrgäste blickten Delia verächtlich an. Ihretwegen bekam man Verspätung! Einzig Winnetou zeigte Weltgewandtheit und Charme, zeigte sich als die Persönlichkeit, die sie zweifellos war.
»Hören Sie«, fauchte sie in die Gegend Timmelmanns, »dem armen Wurm ist speiübel, man sieht es ihr an! Kein Wunder in dieser Heißluftröhre! Wissen Sie, was Sie hier transportieren? Vierzig lebend gesottene Hummer in Schweißmayonnaise! Parblöö! Je m’en fiche de votre dämlichen Grinsen! Die Dame hier ist erkrankt in Ihrem Wurstkessel, und Sie quackeln noch! Sitzen nennen Sie das? Babystühlchen sind es, in die man sich quetscht! Blau und grün sitzt man sich und fährt ohne Ozon. Ich mache die Fahrt, weil ich nun mal hier bin, aber ich verklage die olle Gesellschaft auf halbe Preise!«
»Ich auch! Ich auch!«, rief es von allen Seiten, die Mienen hatten sich umgruppiert zu einer Front beutegieriger Kampflust, besonders die eben noch friedlichen Reisedamen schossen grünliche Blitze aus gewitterschwangeren Augen und ihre Münder verzerrten sich. So entstehen Revolutionen, dachte Delia.
Eine Frau liegt im Bett und ist misslaunig. Sie ist nicht mehr jung und gerade ziemlich knapp bei Kasse. Sie träumt von einem fulminanten Frühstück, das sie sich nicht leisten kann. Der Mann, dem sie zuletzt ein ange¬nehmes Leben verdankte, der auch von Heirat gesprochen hatte, ist gestorben und hat ihr nichts hinterlassen. In ihrem Beruf als Handelsvertreterin ist sie nicht mehr so gefragt wie früher. Und im Büro findet sie auch keine Anstellung.
Zitat: Einen Posten als Tippfräulein hatte sie auch nicht bekommen, die Chefs bevorzugten Anfängerinnen, junge Anfängerinnen. Es war erstaunlich, wie viele bildhübsche Sieb-zehnjährige es gab, als hätte die Welt gerade den Artikel in Massen geliefert, der gereif¬ten Reizen den Rang ablief – diejenigen ausgenommen, die eingesessen waren. Aber De¬lia war nirgends eingesessen.
Erschienen ist dieser ungewöhnliche Unterhaltungsroman über eine nicht „eingesessene“ Frau 1965. Die Autorin war knapp 30 Jahre älter als ihre Protagonistin und selber auch nicht mehr be¬sonders ge¬fragt. Juliane Kay hatte in ihrer Jugend als Schauspielerin auf der Bühne gestanden, begann dann – erfolgreiche – Theaterstücke, später Filmdrehbücher zu schreiben. Anfang der 1950er Jahre war ihr ein deutscher Bundesfilmpreis verliehen worden als beste Drehbuchauto¬rin. Wäre sie nach Hollywood gegangen, hätte sie zweifellos Karriere gemacht. Sie hätte – wozu dieser Roman eine hervorragende Vorlage gewesen wäre – Screwball Comedys schrei¬ben können.
„Madame geht auf Reisen“ beginnt in einer trostlosen Lage, die aber höchst amüsant und bild¬reich beschrieben wird:
Zitat: Inmitten der staubgrauen Kümmernisse erhob sich, als scheußlichster Gipfel, der Ge-danke an ihren vierzigsten Geburtstag. In zwei Monaten würde er stattfinden, in aller Stille natürlich, aber unumgänglich. Sie versuchte ein paar rosige Tänzerinnen aus ihrem Denken hervorzuholen, schleier¬schwingende, anmutige Gestalten, die ihr versichern würden, vierzig sei überhaupt kein Alter. Es war kein Alter, im Gegenteil, es bedeutete die Vollkraft weiblichen Blühens, schnster, prächtigster Reife. Vierzig bedeutete gar nichts für wohlversorgte Ehefrauen, auch nicht für diejenigen, die im Beruf standen und so tüchtig waren, dass Delia in Staunen und Ehrfurcht versank, wenn sie sah, wie sicher und sorglos sich diese ge¬schmeidigen oder kernig Schaffenden bewegte.
Delia ist nicht kernig, nicht ehrgeizig, sie ist hübsch und ziemlich anpassungsfähig. Sie hatte in der Jugend ein wenig getanzt und gesungen, als der Erfolg ausblieb, hatte sie tippen ge-lernt, aber dann hatte sie erfreulicherweise – nacheinander - mit zwei höchst unterschiedli-chen Männern ihr Leben ge¬teilt, besser gesagt: Sie war von ihnen ausgehalten worden. Der jüngere der beiden heiratete am Ende eine andere, der ältere starb überraschend. Es war ihr nicht schwer gefallen, sich in die unterschiedlichen Charaktere und Gewohnheiten der Herren einzufühlen. Der eine war eher phlegmatisch, der andere über die Maßen aktiv. Beide Vorlie¬ben hatte sie klaglos geteilt und durchaus auch genossen. Sie ist keine anspruchsvolle Frau. Am Anfang der Geschichte weiß sie nicht, wie es weitergehen, wie sie die Miete aufbringen soll. Aber dann ändert sich alles:
Zitat: Delia hatte gewonnen. Nicht fünfhunderttausend, aber dreihundertfünfzigtausend Mark. Die Summe erschien ihr, verglichen mit fünfhunderttausend, erschreckend klein. Im nächsten Augenblick aber schwindelnd hoch, vergleichen mit dreiundneunzig Mark und vierzig Pfennig, die sie besessen hatte vor dem wahrhaft unglaublichen Ereignis.
Ein „unglaubliches Ereignis“: Mit diesem Lotteriegewinn ändert sich ihr Leben. Jetzt kann sie zum ersten Mal selber entscheiden, was sie wann und von wem will. Bislang war sie stets auf der Suche nach Männern mit Geld, jetzt muss sie sich davor fürchten, des Geldes wegen ge-wollt zu werden.
Eine Emanzipationsgeschichte beginnt, die sich vor allem durch den genauen und wachen Blick der klugen Heldin auszeichnet. Früher hatte sie sich den verboten, wenn sie Männer betrachtete, aber diese Zeiten sind nun vorbei. Und – was macht man mit so viel Geld? Man geht erst mal auf Reisen –und betrachtet die anderen Passagiere:
Zitat: Die Mitreisenden waren so interessant wie Pusteblumen, einander son¬derbar ähnlich, und vom Wind des Lebens teilweise bereits verblasen. Es gab außer dem Rei¬seleiter nur drei Männer unter den Busgefährten und auch sie glichen Feldern, durchfurcht für die Wintersaat.
Eine Reise nach Paris im Bus mit Pusteblumen: Das will sie nicht ertragen. Sie kauft kurzer-hand ein Auto und fährt mit der Freundin ins Abenteuer. Dass am Ende dann doch ein Mann für den glücklichen Ausgang der Geschichte sorgt - immerhin einer mit einem maroden Schloss, dem sie die Existenz rettet -, das ist der Zeit geschuldet. Bis es zum verwickelten happy end kommt, liest man wunderbar schonungslose Beschreibungen männlicher Physiog-nomien, erotischer Vorlieben und Illusionen. Sie muss sich nicht mehr verstellen, sich nichts mehr vormachen, sie ist jetzt eine unabhängige Frau mit Geld. Und eigenes Geld hatte ja schon Virginia Woolf 1929 in ihrem feministischen Essay „Ein Zimmer für sich allein“ als Grundvoraussetzung für ein freies weibliches Leben genannt.
ORF, Ö1, EX Libris, 2.6.2024, Rezension: Manuela Reichart