216 Seiten
Hardcover

€ 23.00

ISBN 978-3-903184-23-7

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Paul Ferstl

FISCHSITTER

Alexander Keller ist Fischkenner und betreut Aquarien. Seine neue Freundin Mary nimmt ihn mit zu ihrer Familie – der 90. Geburtstag ihres berühmten Großvaters steht an. Die Feierlichkeiten werden vorbereitet, und Keller befreundet sich mit dem harten, alten Mann. Aber die Katastrophe ist unausweichlich. Ein hochintelligenter, wichtiger Roman über Familie, Kunst und uns.

Alexander Keller hat ein Händchen für Fische und setzt dieses äußerst lukrativ um – in Fischzucht, Aquariumsbetreuung und Gastronomie. Keller liebt Fische – lebendig, roh, gebraten. Diese Ambivalenz zwischen Fürsorge und Verschlingen zieht sich durch sein ganzes Leben. Kellers Freundin Mary, Enkelin des berühmten Künstlers und Gartenarchitekten Akira Benshi, stellt Keller kurz vor dem 90. Geburtstag ihres Großvaters ihrer Familie vor. Und es wird familiär kompliziert: Die Eltern definieren sich ausschließlich über Benshis Kunst, Benshi selbst schweigt, seit er seine Familie beim Atombombenabwurf über Nagasaki verloren hat. Doch als er Keller Fisch essen sieht, bricht er sein Schweigen, macht Keller zu seinem Helfershelfer bei der Neugestaltung seines berühmten Gartens – und verursacht lediglich dessen Verwüstung. Mary selbst wird wieder in längst vergangen geglaubte Familienstrukturen hineingezogen – und mittendrin Keller, der als Benshis „neuer bester Freund“ weit über den Rand seiner vermeintlichen Toleranz und seines Gleichmuts gebracht wird.
Ein Roman mit geschliffenem Stil, klug, fließend – aber dann!

Das Gelände füllte sich langsam. Die Wrecking Crew erschien, alle drei in Smokings, und sie begannen den »10 Millionen Euro, langsam verfeuert«-Scheiterhaufen wieder anzuheizen. Niemand störte sie dabei.
Dann tauchten stoßweise Gäste auf, und die Wiesen füllten sich recht schnell. Mary und Keller gingen etwas näher zur Bühne hin und sahen zu, wie die Besucher eintrafen und sehr interessiert die Umgebung in Augenschein nahmen: den Scheiterhaufen, das ausgebrannte Gartenhaus, die umgestürzten Schrottskulpturen, die ausgelassenen Kanäle mit den toten Fischen. Zwei, drei unternehmungslustige Leute waren auf einen der Hügel gestiegen und wiesen auf den Traktor hin, der mit einem Platten schief im niedergewalzten Weingarten hing. Leute kamen herbei, um Mary zu begrüßen, und es war recht leicht, unter fernen und nahen Bekannten Freund und Feind zu unterscheiden, »Mariko«, hieß es öfters, oder eben: »Mary!« Keller bekam zwanzigmal »Alexander Keller, mein Freund« zu hören. Jeder Frau, die ihr Kleid gelobt hatte, flüsterte Mary ein »Bitch!« hinterher, und Keller lachte jedes Mal.
»Ich wiederhole nur, was sie sagen«, sagte Mary.
Keller grinste und löste sich von ihr. »Ich werde deinem Vater ein bisschen Gesellschaft leisten.« Er drängte sich durch die anwachsende Gesellschaft und schnappte ein paar Gesprächsfetzen auf.
»Das ist ja wieder einmal typisch, dass wir uns erst beim Ge-burtstag vom Bomben-Benshi wiedersehen!«, sagte ein Mann zu einem Paar.
»Der ist schon immer für eine Überraschung gut, oder?«
»Glaubst du, die toten Koi sind echt?«
»Plastik ... weißt du, was die echten kosten?«
Keller stellte sich zu der Gruppe, in der Merlicek-Vater stand, und legte ihm verwandtschaftlich-vertraut den Arm um die Schultern. Merlicek war gezwungen, ihn als »Alexander Keller, Marikos Freund« vorzustellen. Dann entschuldigte sich Merlicek bei der Gruppe, »man wird sich ja später sehen«, er müsse noch einige Leute begrüßen, und damit versuchte er Keller abzuschütteln. Keller blieb an seiner Seite.
Es war kein geringes Vergnügen, neben Merlicek durch die Leute zu driften und links und rechts zu grüßen. Der Hausberger, Landesrat für wasserwirtschaftliche Planung und weitaus kunstinteressierter als der Herr, der tatsächlich für die Kunstagenden des Landes Niederösterreich zuständig war, trat von sich aus auf Keller zu und wurde von diesem mit einer Umarmung begrüßt. Der Hausberger war ein guter Kunde und ein freundschaftlich verbundener Bekannter, der viel von Karpfen verstand und dann und wann Kellers Meinung zu Fischereirechten einholte.
»Das ist Thomas Merlicek«, sagte Keller und wies auf Merlicek-Vater, »Marys Vater!«
»Na geh«, sagte der Hausberger, »wie geht es denn der Mary? Die ist eine Merlicek, die Mary?«
»Ja, Benshis Enkelin!«
»So trifft man sich! Du, Alex –« der Hausberger zog Keller weg von Merlicek, »wegen der einen Geschichte ...« Keller entschuldigte sich, verwies auf seine Gastgeberpflichten und eilte Merlicek nach, der in den nächsten fünfzehn Minuten eine Lektion bekam, wer nicht alles in Fisch und Wasser tätig war und in Kellers Restaurants ein und aus ging. Keller ließ Merlicek dann von der Angel und verließ ihn, nachdem er ihm aufmunternd auf die Schulter geklopft hatte: »Viel Erfolg!«
Sehr befriedigt machte sich Keller auf, um Mary zu suchen. Er fand sie etwas abseits, Benshi stand bei ihr und sprach auf sie ein. Beim Näherkommen fiel Keller auf, dass alle Augen Benshi suchten, aber niemand machte den Versuch ihn anzusprechen.
Mary und Benshi schwiegen, als er zu ihnen trat.
»So viele Gratulanten«, sagte Benshi und wies auf die Menge. Dann sah er seine Enkelin an. »Wirst du mir nicht zum Geburtstag gratulieren, Mary?«
Mary ohrfeigte Benshi, einmal, beiläufig. »Alles Gute«, sagte sie.
Benshi lachte und sagte: »Das wird ein guter Tag.« Dann wandte er sich an Keller und drückte ihm ein kleines Paket in die Hand, das in Geschenkpapier mit aufgedruckten Weihnachtsbäumen eingewickelt war. »Geschenk, Fischsitter«, flüsterte er, »erst später aufmachen, am Abend.« Er umarmte Keller, der beinah zurück-gezuckt wäre, wenn er die Zeit dafür gehabt hätte und wenn es sich völlig richtig angefühlt hätte. Dann war der Alte in der Menge verschwunden.
Keller sah, dass Mary ihn betrachtete.
»Bist du neidisch?«, fragte er sie.
»Nein. Ich wundere mich nur. Weil ich ihn ganz gut verstehen kann.« Sie wandte sich ab und betrachtete die Gäste, legte dabei aber einen Arm um seine Hüfte.
»Wird es langsam Zeit?«
»Bald.«
Sie nahmen von einem Kellner zwei Campari Soda und mischten sich unter die Leute.

Der österreichische Autor Paul Ferstl hat mit „Fischsitter“ einen hervorragenden Roman geschrieben, irgendwo zwischen Komödie und der Andeutung eines Psycho-Thrillers.
„Itadakimasu!“, das Wort, das man in Japan vor jedem Essen zu niemand bestimmten, am ehesten noch zu sich selbst, sagt, steht ganz am Anfang des neuen Romans von Paul Ferstl. Und somit ist eines schnell klar: in „Fischsitter“ wird viel gegessen, aber wenig zueinander gesprochen.
Alex Keller ist die Hauptfigur in dieser Geschichte, die als Komödie beginnt, aber nicht als solche endet. Keller ist Fischzüchter, Besitzer eines Wiener Aquariengeschäfts für superreiche Kunden und Speisefisch-Connaisseur zugleich. Irgendwie dreht sich in Kellers Leben also alles um Fische und dennoch hat er Angst vor offenen Gewässern, ganz typisch neurotischer Mittdreißiger. Seine Freundin Mary heißt eigentlich Mariko und ist die Tochter eines japanisch-tschechisch-österreichischen Kunsthändlerpärchens, die die Kunstwerke des Großvaters und international bekannten japanischen Künstlers Akira Benshi verwalten.
Dieser hat seit Jahrzehnten kein Wort mehr gesprochen, als Reaktion auf den Verlust all seiner Familienmitglieder beim Atombombenabwurf über Nagasaki. Das Schweigen wusste die Familie seither einerseits gekonnt zu vermarkten und hat Benshi als geheimnisvollen alten Japaner verkauft. Andererseits treibt das Nichtgesagte alle langsam in den verschrobenen Wahnsinn. Die Verwirrung und Empörung ist verständlicherweise groß, als Keller zum ersten Mal in den familieneigenen Vierkanthof in der österreichischen Peripherie geladen wird und Großvater Benshi ausgerechnet ihm eine - den Umständen entsprechend - viel zu banale Frage stellt, und damit sein jahrelanges Schweigen bricht.
Während Keller diese Ehre gar nicht zu verstehen vermag, sind Mutter, Vater und Tochter alle aus anderen Gründen betroffen über den plötzlichen Bruch des Schweigegelübdes. Hervorragend zeichnet Autor Ferstl die inneren und äußeren Kämpfe der einzelnen Figuren mit diesem Umstand nach, der für alle neu ist, außer für Keller, der den Großvater in seiner Schweigephase ja gar nicht kannte. Dem alten Japaner gefällt diese Unbefangenheit des Schwiegerenkels und so werden die beiden Verbündete, schmieden geheime Pläne, trinken viele teure Weine, reißen buchstäblich zusammen Bäume aus und essen Fisch. Jede Menge Fisch.
Es ist eine lustig-neurotische Szenerie, die Ferstl in den ersten Kapiteln von „Fischsitter“ entwirft, nicht selten muss man beim Lesen laut auflachen über die Dialoge zwischen Keller und Benshi, oder über die als absurd-komisch beschriebene Welt des Kunsthandels. Doch irgendwo schwingt auch immer das Gefühl mit, dass hier etwas nicht stimmt. Der Großvater, der so lange nichts gesagt hat, sagt plötzlich zu viel, nämlich auch Dinge, die seine Familie und vor allem auch Keller gar nicht hören will. Durch das Brechen seines Schweigens offenbaren sich plötzlich Dynamiken und Wahrheiten, die vorher viel zu lange todgeschwiegen wurden. Aus der anfänglichen Komödie wird ein gruseliges Kammerspiel am Rande eines Psychothrillers.
Plötzlich ist der Vierkanthof mehr Gefängnis als Ort künstlerischer Entfaltung. Das Herzstück des Anwesens - der sorgfältig geplante japanische Garten - wird zur Stätte von willkürlichen Zerstörungsakten, die der alte Benshi anordnet und Keller, oft gegen seinen eigentlichen Willen, hörig ausführt. Die einzelnen Familienmitglieder erleben in wenigen Tagen Zerfall und Ohnmacht, plötzlich wird viel zu viel gesprochen, aber nie miteinander.
Der Wechsel im Roman vollzieht sich so langsam, dass man es erst bemerkt, wenn man schon mitten drin ist im Sumpf dieser unheimlichen Familienaufstellung. Es geht nicht mehr um schrullige Künstlertypen und sonderbar-interessante Persönlichkeiten. Es geht nun um vererbte Traumata und die Gewalt, in der sich diese Traumata zeigen. Häusliche Gewalt, Gewalt gegen den eigenen Körper und scham- und rücksichtsloser Umgang mit Macht.
Der überdimensional große Gewalt-Akt eines Atombombenabwurfs, die physischen und psychischen Gewaltausbrüche einzelner Personen und nicht zuletzt auch die tödliche Gewalt, die gegenüber Fischen ausgeübt wird - das alles findet Platz in diesem spannenden Roman und wird schmerzhaft verflechtet. Dass aus diesem aber trotzdem noch ein beruhigendes Maß an Komik entspringt, ist eindeutig die Meisterleistung des Autors Paul Ferstl.
FM 4, Christian Pausch, November 2018



Als Steven Spielberg 1975 den Roman „Der Weiße Hai“ auf die Leinwand brachte, war eine Urangst geboren. So mancher Kinogeher wagte sich nicht mehr ins Wasser, die Tourismuseinnahmen gingen zurück. Mehr als 40 Jahre danach scheint das Trauma rund um das unbezwingbare Monster aus der Tiefe immer noch nicht bewältigt; im Fall von Paul Ferstls neuem Roman in vielerlei Hinsicht: Die Hauptfigur – Alexander Keller – hat den Horrorklassiker zu früh gesehen und eine Angst vor offenen Gewässern entwickelt.
Die Furcht vor dem Undurchschaubaren, dem Unbekannten ist der zentrale Angelpunkt in Ferstls Erzählung. Im „Weißen Hai“ kämpfen drei Männer auf einem geradezu lächerlich kleinen Boot gegen diese menschliche Urangst. Der Film erzählt von charakterlichen Schwächen, aus deren Überwindung Helden geboren werden, aber auch von einer kapitalistischen, sich selbst gefährdenden Gesellschaft, von Schuld, Sühne und der Aufopferung des Einzelnen. Mit ähnlichen Motiven spielt auch der Roman „Fischsitter“, allerdings in einem gänzlich anderen Setting. Statt nervenzerreißender Spannung gibt es hier schrullige Figuren und jede Menge Situationskomik. Alexander Keller versteht die Fische, er ist gewissermaßen ein Fischflüsterer. In Wien betreibt er höchst erfolgreich ein Geschäft für Fischzucht, Aquarienbetreuung und Gastronomie. Keller liebt seine stummen Freunde, egal ob gekocht oder lebendig. Sein Nachname ist – wie vieles im Roman – nicht zufällig gewählt.
Kellers Freundin Mary ist die Enkelin des berühmt-berüchtigten Künstlers und Gartenarchitekten Akira Benshi, der beim Atombombenabwurf über Nagasaki seine Familie verloren und seither kein Wort gesprochen hat. Sein jahrzehntelanges Schweigen bricht er ausgerechnet, als Keller zum ersten Mal die Familie besucht. „Benshi“, das waren in der japanischen Stummfilmkultur jene Sprecher, die neben der Leinwand standen und den Charakteren ihre Stimme verliehen. Der ehemals stumme Patriarch mit vielsagendem Namen wird zu Kellers Gegenspieler in diesem japanisch-wienerischen Familiendrama, das sich in den letzten Tagen vor der großen Geburtstagsfeier des 90-Jährigen abspielt. Die Familie fiebert diesem Fest, zu dem sich alles was Rang und Namen in der Kunstszene angesagt hat, entgegen, während der alte, ungeheuerliche Japaner die Vorbereitungen sabotiert. Zur großen Bestürzung seines aufs Erbe schielenden Schwiegersohns sägt Benshi die Bäume im kunstvoll angelegten Garten um. Die sündteuren Karpfen des Künstlers, die eben noch das Cover eines Koi-Magazins zierten, landen auf dem Grill.
Wenn es auch heiße, dass man nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben könne, so habe Benshi doch bewiesen, dass man nach Nagasaki noch malen könne. Das wird ein Vertreter der Kunstsektion des Bundeskanzleramtes in seiner Geburtstagsrede lapidar anmerken. Die Feier artet erwartungsgemäß zu einem destruktiven Happening aus, in dem alles was bisher verborgen war, an die Oberfläche gespült wird. Der „Fischsitter“ ist eine delikate Satire auf den Kunstbetrieb, ein ungewöhnliches Familiendrama, gespickt mit allerlei Zitaten und Allegorien aus der Welt der Fische.
Aufmerksame Leserinnen werden auf zahlreiche Anspielungen stoßen, so ist etwa eine „Banshee“ in der keltischen Mythologie ein weiblicher Geist, dessen Erscheinung einen bevorstehenden Tod ankündigt. Ehe es jedoch zum dramatischen Showdown kommt, bleibt noch Zeit für liebevoll dargelegte, skurrile Nebenhandlungen, wie etwa jene um den betreuungsintensiven Kunden Martin Pollak. Der leidenschaftliche Fischliebhaber ruft den Fischsitter zu einem Aquariennotfall.
EX LIBRIS, Ö1, ORF, November 2018


Fische, Familie und andere Katastrophen
Fische und Familie. Sie bilden die Eckpfeiler im Roman „Fischsitter“ des in lebenden Steirers Paul Ferstl (Jahrgang 1981). Was zunächst als Geschichte rund um einen passionierten Fischfreund erscheint, entwickelt sich zu einer kuriose Familiengeschichte mit emotionalem Showdown.
In Ferstls zweitem Roman stößt sein Protagonist Alexander Keller als neuer Freund der Tochter Mariko, „Mary“, zur japanisch-wienerischen Künstlerfamilie Merlicek-Benshi. Keller, privat und beruflich ein Fischliebhaber (er ist Fischzüchter, betreibt ein Aquarienfachgeschäft und mehrere Restaurants) hat eigentlich keinerlei Interesse, sich außerhalb seines gewohnten Rahmens zu bewegen, gerät jedoch ungewollt immer mehr zwischen die Fronten.
Als Setting dienen die letzten zehn Tage vor dem großen Geburtstagsfest des 90-jährigen Großvaters Akira Benshi und den damit verbundenen Vorbereitungen. Benshi, bekannt geworden als großer Künstler, der durch den Atombombenabwurf über Nagasaki seine Familie verlor, stellt das sowohl verbindende als auch alles vergiftende Zentrum der Sippe dar. Seit Jahrzehnten in Schweigen verfallen, bricht er dieses erst, als Protagonist Keller erstmals die Familie besucht.
Es entspinnen sich immer mehr Dramen: Von seiner neuen, selbst zugestandenen Redefreiheit entfesselt, beginnt Großvater Benshi sein Werk, den künstlerisch gestalteten Garten des Anwesens, und das seiner Familie, seine Kunst zu pflegen und zu vermarkten, zu sabotieren und sogar zu zerstören. Keller, der einzige, dem Benshi sein Vertrauen entgegen bringt, mutiert unbeabsichtigt zu seinem Handlanger. Nebenbei versucht auch noch Kellers alte Liebe Christine ihren ehemaligen Liebhaber wieder für sich zu gewinnen, nachdem ihr Ehemann (der gleichzeitig auch Kellers bester Kunde ist) verstirbt.
Das große Wirrwarr der Gefühle gipfelt schließlich im Selbstmord des Großvaters, als dieser gesteht, Jahre zuvor seine Ehefrau umgebracht zu haben. Zurück bleibt das Gefühl, dass Ferstls Roman kein anderes Ende hätte nehmen können.
(Tiroler Tageszeitung, 19.10.2018)


Für einen Autor ist es keineswegs ein Fehler, Ideen zu haben. Wenn sich diese dann noch vom Gängigen abheben, umso besser. Paul Ferstl scheint so jemand zu sein, wie sein zweiter Roman „Fischsitter“ nahelegt. Mit seinem Plot, seinen ungewöhnlichen Figuren und vielen leicht skurrilen Einfällen hebt sich das Buch positiv vom Erzählmainstream ab. Allein wie Ferstl seine Figuren über kleine Eigenschaften und Ticks charakterisiert, macht Spaß. Ein vergnüglicher Roman, den man sich auch gut als Film vorstellen könnte.
(Sebastian Fasthuber, FALTER, Oktober 2018)


"Zwei sind schon tot!" ertönt es bald nach Beginn des neuen Romans von Paul Ferstl. Gemeint sind zwei Korallen aus einem privaten 12.000-Liter-Aquarium. Bis zum Ende von Fischsitter sind wieder zwei tot, allerdings Männer: Einer davon – der Besitzer jenes Luxusaquariums, in dem es eingangs kriselte – tödlich verunglückt beim Apnoe-Tauchen. Der andere, im Gegensatz zum waghalsigen Sportsfreund, eine Hauptfigur. Ein Gartenhaus brennt, Meerwasser schießt durch Wohnzimmer, Bäume und Rebstöcke fallen, Kois landen auf dem Grillrost, Destruktion ist die Devise – gewaltige, zum Teil auch gewaltsame Überschreitungen finden nicht nur an Dingen, Pflanzen und Tieren statt. Es kommt zu allerhand Spektakulärem, und es wird von Gröbstem berichtet in diesem aufregenden Roman mit dem unaufgeregten Grundton, der sich "Keller" verdankt, jenem Protagonisten, über dessen Handeln, Denken und Fühlen Paul Ferstl sein Erzählen anlegt. Keller, dessen Vorname – ganz oder abgekürzt – nur in wörtlicher Rede fällt, ist der "Fischsitter". Den Übernamen, welcher Begabung, Profession und Erfolg des Mittdreißigers bagatellisiert – ob freundschaftlich-spöttisch oder hintergründig-böse sei dahingestellt –, bekommt er vom Großvater seiner jungen Freundin zugesprochen. Der Rede wert ist dies, da die Wortmeldung "Wenn Alexander Japanisch lernen möchte, kann ich es ihm beibringen" die allererste verbale Äußerung des alten Asiaten seit der Atombombe auf Nagasaki sein soll. Der international gefragte, hoch angesehene Künstler, dessen 90. Geburtstag auch als quasi-offizielle Feierlichkeit bevorsteht, lebt mit – oder besser: neben – Tochter, Schwiegersohn und erwachsener Enkelin plus Haushälterin Gruber in einem durchgestalteten Vierkant-Refugium, über welches er bis dato wortlos herrscht. Dass er nicht nur das Sprechen, sondern zudem die deutsche Sprache beherrscht und dies ausgerechnet gegenüber dem Neuling kundtut – Keller ist da erstmals zu Gast, als Partner der verletzlichen Mariko und vor allem als Experte für Weiher und Teiche –, stiftet diffuses Unbehagen. Lesevergnügen stiftet die gekonnte Kuratoren- und Kunstbetriebssatire, die Paul Ferstl vordergründig via Schwiegersohn des exzentrischen Meisters zelebriert: Mit poststrukturalistisch-postkolonialistisch gepimpten Werkdeutungen wirft der Angeheiratete um sich, bis er während der Entfaltung des Showdowns "den Rainer, den Hirst und den Chagall" ganz profan-pragmatisch versteckt, weil er die Destruktion dann doch nicht mehr als Dekonstruktion zu verklickern bereit ist. Quellenangaben offeriert Ferstl im Anhang. Weitere "Literarische Verweise" ebenda scheinen dem potentiellen Missverständnis vorbeugen zu wollen, der Buchautor könnte auf dem Gebiet der "Arts and Humanities" so entspannt-ignorant sein wie der Fischsitter.
Dabei wirkt dessen Sicht der Dinge nie banausenhaft, geschweige denn borniert. "Keller gab wahrheitsgemäß an, nie von diesen Filmen gehört zu haben", heißt es, wenn das feinsinnige Gastgeberpaar nach seiner Meinung zu Umberto D. und Ladri di biciclette fragt. (Prompt ist Der weiße Hai der Favorit von Keller und vom Künstler …!) Tatsächlich ist der Limousinenfahrer, der eine Motorsäge zu bedienen weiß und den Alten das Wort "Fichtenmoped" lehrt, anstatt auf dessen konsternierendes Angebot von Lektionen in Japanisch zurückzukommen, eine der stärksten literarischen Figuren nicht nur dieser Saison. Beruflich ist er ein Ass, eine Art Adrian Monk oder Gregory House der Wasserfauna. Privat scheint er – was nicht für alle Gestalten des Romans gilt – kein Aas. Dass es auch bei Keller Abgründiges gibt, und wie sich dieses mit dem Leben und der Familie des großen, zu feiernden Stars überschneidet und verschränkt, legt Paul Ferstl ebenso schlüssig dar wie das Zusteuern auf eine Katastrophe, die nichts (gewesen) sein wird im Vergleich mit den kollektiven und fiktiv-persönlichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Zumindest der Fischsitter ist gerüstet für die Zumutungen des rüstigen Künstlers.
Die Charakterzeichnung von Keller und seinem ambivalenten Gegenüber Benshi zählt zu den wesentlichen Qualitäten des Romans. Dass "Benshi" nicht nur der Name des unberechenbaren, jahrzehntelang schweigenden Künstlers ist, sondern auch die Bezeichnung für den Live-Erzähler oder -sprecher der japanischen Stummfilmkultur, ist eine charmante Pointe. Eine Freude ist es, wie der Schriftsteller Ferstl – als solchen möchte man den Autor, der sich auch als Wissenschaftler und Wissenschaftsverleger einen Namen machte, ausdrücklich bezeichnen – auch Nebenfiguren wie Kellers Lehrling Miro oder Kellers unglücklich endenden Kunden mit dem Premium-Aquarium unvergesslich gestaltet. Überzeugend dargestellt in einem einzigen, nicht umfangreichen Handlungselement sind auch Kellers Mutter und Vater, weniger als Individuen denn als Eltern und Kontrast zur Szenerie – auch zur emotionalen – um "Mary", die mit ihrem Namen Mariko ebenso wenig anzufangen weiß wie mit ihrem abgeschlossenen Kunststudium. In all seiner Beschädigt- und Zerrissenheit wirkt dieser junge Mensch leider ebenso wie die übrigen Frauenfiguren, wiewohl keine von ihnen plump oder gar denunziatorisch gezeichnet ist, ein bisschen verwackelt und matt. Dabei soll’s im Aquarium angeblich durchaus Arten geben, bei denen die Weibchen die mit der auffälligeren Färbung sind: Bei nächster Gelegenheit – einem dritten Roman sieht man mit Interesse und Vorfreude entgegen – vielleicht zwischendurch an den Purpurprachtbarsch denken? Punkten kann Paul Ferstls in zehn Abschnitte gegliederter Roman, der nur so qualmt vom Zigarettenkonsum fast all seiner ProtagonistInnen, mit Handlung, Figuren, ausgesprochen stimmigen, witzigen Dialogen und immer wieder auch mit Fein- und Eigenheiten wie etwa nachgestellten, überraschenden Negationen ("Du kleiner Wichser", sagte Keller nicht.)
Um die sprichwörtliche Stummheit der Fische herunter zu brechen: "Sie schwieg eine Weile, im Gegensatz zu Keller, der einfach nur kein Wort sagte."
(Petra Nachbaur, Literaturhaus Wien, Oktober 2018)

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