272 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag

€ 24.00

ISBN 978-3-903184-33-6

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Andreas Kump

ÜBER VIERZIG

Alt werden und dabei jung bleiben – wer wünscht sich das nicht? In Andreas Kumps kraftvollem Debütroman erleben wir fünf Menschen an einem brütend heißen Tag im Hochsommer, an dem auch die Fragen des Älterwerdens hochkochen. Eine spontane Reise in die Vergangenheit lässt den Glauben an die Zukunft wieder erstarken.

Ein Hochsommertag mit 40 Grad. Fünf Menschen, alle über oder kurz vor 40, stehen entscheidende Stunden bevor. In Wien ist Roland, 45, trotz Hitze und drohender Panikattacken quer durch die Stadt unterwegs, um Versäumnisse wiedergutzumachen. Seine Frau Mona, 39, hadert bei der Arbeit im Copyshop mit ihrem Selbstbild als Künstlerin. Die Grafikdesignerin Pia, 40, kämpft mit dem Alter und schwindenden Karrierechancen.
Aber auch in Linz wird geschwitzt – Tommi, 48, lebt dort von seiner Muskelkraft. Er ist Schuldeneintreiber. Nun holt ihn seine Vergangenheit als Hooligan ein. Lesbos war mal der größte Star des Linzer Undergrounds. Damals, als noch Häuser besetzt und Klassenfeinde verachtet wurden. Nun will es der alte Revolutionär und Womanizer noch einmal wissen.

Andreas Kumps origineller Gegenwartsroman behandelt mit Wortwitz und Ehrlichkeit ein Thema, das uns alle betrifft: den Tag, an dem man bemerkt, dass die Zeit knapper wird. Und man sich panisch fragt: Wo sind die Jahre hin? Und, verdammt, ist das schon alles gewesen?

„Überhaupt schien ihm nach seiner jüngsten Erfahrung das Leben keine große Sache zu sein. Im Grunde nur ein Bindestrich zwischen zwei Jahreszahlen. Und das war das eigentlich Neue dieses Sommers – dass er sich dieses pfeilgeraden, sehr kurzen Bindestrichs bewusst geworden war.“

Lesbos sah dem neuen Schankburschen beim Arbeiten zu. Anders gesagt, er beobachtete ihn dabei, wie er hinter der Bar lehnte und flink auf einem Smartphone herumwischte. Das schnelle Spiel der Finger erinnerte Lesbos an einen Artikel in einer stadtplangroßen deutschen Tageszeitung. Darin hatte er kürzlich gelesen, der Homo sapiens sei mit Sicherheit nicht der letzte seiner Art. Sobald sich
Lebewesen neuen Bedingungen anpassen müssten, entwickelten sie sich rasch weiter. Die menschliche Gattungsentwicklung schritt also immer noch voran. An genau diese Sätze musste er jetzt zwangsläufig denken. Denn im Gegensatz zu ihm machte dem Youngster die Hitze im Lokal überhaupt nichts aus. Er transpirierte kein bisschen. Wahrscheinlich ist das hier schon eines unserer Nachfolgemodelle, dachte Lesbos. Serienmäßig bereits auf den Klimawandel ausgelegt. Die Kühlung funktionierte bei dem neuen Typus Mensch eindeutig besser. Auch das Hirn schien anders zu arbeiten. Es schien bereits für die Benutzung technischer Kommunikationsgeräte umprogrammiert. Das Streicheln, Patschen, Wischen und Drücken geschah in fließenden Bewegungen.
Ich war selbst mal jung, dachte Lesbos. Aber ich war nicht so ferngesteuert wie der Kerl da. Ich hatte Stacheln auf dem Kopf, in allen Farben, um mich gegen den vorbestimmten Mist zu wehren. Mich beschäftigten schon mit vierzehn die großen Fragen des Lebens. Wie bringt man ein Vakuum zum Verschwinden? Wann habe ich das Geld für den ersten London-Trip zusammen? Wo bekomme ich in dieser elenden Stadt eine vernünftige E-Gitarre her? Das waren die entscheidenden Aufgabenstellungen damals. Im Grunde waren wir privilegiert. Von der Zeit und der Unterversorgung. Hier gab es vor uns ja nichts. Wir konnten Pioniere sein. Als Pioniere mussten wir Züge nehmen, mit der Fähre über den Ärmelkanal setzen, um vom Fleck zu kommen, entfernungstechnisch und geistig, romantisierte er in der Hitze des Lokals fort. Es gab erst Schwellen und dann Wege, die es zu finden und auf sich zu nehmen galt, Distanzen und dahinter eine Ferne, nach der man sich sehnen konnte, weil nur eine vage Vorstellung davon existierte. Geografie galt damals noch etwas. Mobile Kommunikationsmittel und Computer existierten nur in Science-Fiction-Filmen. Auf Knopfdruck flog uns gar nichts zu. Für Botschaften aus fremden Universen mussten wir geduldig auf den Briefträger warten. Wir bekamen auch sonst nichts geschenkt. Wir mussten uns alles selbst aneignen, uns gegen jede Menge Idioten behaupten.
Zuspätgeborene kennen das alles leider nicht mehr, sinnierte Lesbos. Zum Teil ist das unsere eigene Schuld. Wir haben das verursacht. Wir haben ihre natürlichen Feinde ausgerottet. Indem wir nicht zu den Vierzig- und Fünfzigjährigen wurden, mit denen wir selbst einst konfrontiert waren. Autoritäre Spießer, Nazis, Kapitalisten. Das hat fatale Auswirkungen. Nicht für uns, aber für Kerle wie den da. Man sieht das doch: Ohne natürliche Feinde verkümmern die Instinkte. Wenn du den scharf anhustest, fällt er um. Bis der begreift, dass er mit seinem Dauergesurfe einzig den Algofaschisten aus dem Silicon Valley ins Messer läuft, ist sowieso alles zu spät. Vielleicht ist das aber zu pessimistisch gedacht, überlegte Lesbos. Konnte es sein, dass er den hitzeresistenten Handykindern unrecht tat? Sah oder verstand er ihren Auftrag einfach nicht? Möglicherweise führte ja eine junge Generation den Aufstand mit anderen Mitteln als den seinen fort. Und war Vicky nicht ohnehin die lebendige Antithese zu seinem Blues?
Vielleicht war doch nicht alles umsonst, hoffte Lesbos. Das Hausbesetzen, die Prügeleien mit den Bullen, die Vorstrafen, die verrutschten Bandscheiben vom Verstärkerschleppen, die Tausenden Kilometer im Bandbus, das Klebstoffschnüffeln.
So viele Scharmützel mit dem Imperium. So viele an Zirrhose, Aids oder an die Bürgerlichkeit verlorene Gefährten. Der Geist unserer Jugendtage kann doch nicht spurlos verschwunden sein. Vielleicht ist unser Schweiß in ein uneinsehbares Loch gesickert, wo er jetzt vor sich hingärt, um irgendwann zu explodieren.
Mal hören, was die Zukunft der Menschheit dazu zu sagen hat. Und weit wichtiger: Ob sie auch weiß, wo Vicky steckt.
Lesbos räusperte sich. »Wie heißt du eigentlich?«, fragte er über die Bar. Es sollte harmlos klingen, tat es aber nicht.
»Baldur«, sagte die Zukunft zögerlich.

Schön, dass es euch alle gibt
Zwischen Linz und Wien passen eine ganze Menge Lebensentwürfe. Fünf besondere hat sich Andreas Kump in seinem hingebungsvoll erzählten Romandebüt herausgepickt.Die Gluthitze eines Tages und einer kaum kühleren Nacht reicht, um die Menschen zum Schwitzen und buchstäblich zum Schmelzen zu bringen. Dass die Protagonisten in „Über vierzig“ tatsächlich alle so an ihren Vierzigern oder Fünfzigern kratzen oder diese schon erreicht haben, sorgt dabei dennoch für Erfrischung. Drehen sich ja genug Bücher um Twentysomethings. Jedenfalls würde man bei obiger Alterskohorte von Gesetztheit und einem Angekommensein im Leben ausgehen. Von wegen: Es ist die helle Freude, wie Kump seine Figuren und diverse Randerscheinungen aufblättert, dünnhäutig werden lässt, ohne sie zu entblößen. Jede bzw. jeder Einzelne ist auf seine Weise angeschlagen, gekränkt, ab-gehalftert, angezählt oder erschöpft – körperlich wie geistig. Hitze und Alter machen vor niemandem halt: In egalitärer Anschauung und Anerkennung unterschiedlichster Milieus und Herkünfte liefert Kump einen rasanten Querschnitt durch eine hypermoderne Gesellschaft, die ihren Tribut fordert und wo die Lebensuhr lauter tickt: bei Roland, der aufgrund von Panikattacken vom dot.com-Business freigestellt ist, seiner Frau Mona, eigentlich Künstlerin, in echt frustrierte Angestellte und Mutter, der tablettensüchtigen Artdirektorin Pia. Wieder andere haben ihre absturz-gefährdetsten Zeiten hinter sich, ihr „größtes Kapital“ war „die Vergangenheit“; halbseidene Großmäuler mit verfeinertem künstlerischem Geschmack, Dealer und Schläger sind sie noch immer. Kapitelweise wird aus der Sicht jeweils einer der Figuren erzählt. Zugleich treten überraschende Verknüpfungen unter ihnen zutage, die fast alle in die ebenfalls in die Jahre gekommene Kulturfabrik nach Linz führen. Zum Ende hin wird es dringlich und die Kapitel folgen dicht auf dicht. Trefflich sind die gut sitzenden, wie vom Munde abgelauschten Dialoge, immer einen Tick unter Niveau, das Spiel mit Stereotypen und die Lust an der Zuspitzung. Kump schreibt forciert, schonungslos, lebendig, aber auch mit milder Einsicht. Sofern, was auch passiert, ihn die Metaphern nicht mitreißen und „an den Klippen begrenzter Zeitkapazitäten zerschellen“.
Buchkultur, Senta Wagner, Juni 2019




Stahlstadtkinder wollen es noch einmal wissen
Der Linzer Autor und Musiker Andreas Kump war bis vor ein paar Jahren als Sänger der Indieband Shy unterwegs und hat bis dato zwei Bücher vorgelegt, die sich durch eine Mischung aus Herzblut und Akribie auszeichneten. „Es muss was geben“ (2007) handelte vom Erwachen der alternativen Musikszene in Linz, „Erstmals zurück“ (2012) dokumentierte den überraschenden Aufstieg des oberösterreichischen Fußballvereins FC Blau-Weiß Linz - einstmals VÖEST Linz -in die zweithöchste Liga. Mit „Über vierzig“ liegt der erste Roman des knapp über 50-Jährigen vor. Kump hat einen oft gehörten Ratschlag an literarische Debütanten beherzigt und über Milieus geschrieben, die er kennt. Die Handlung ist in Wien und Linz sowie im Zug dazwischen angesiedelt, die fünf Protagonisten entstammen dem Linzer Underground. Da ist der frühe Internet-Adept, der in eine Karriere hineingestolpert ist und nun von Panikattacken geplagt wird; seine Frau, die sich als Künstlerin sieht, aber als Angestellte im Copyshop zu versauern droht; ein Ex-Hooligan, der sich als Geldeintreiber verdingt; eine von junger Konkurrenz geplagte Werberin; und ein alternder Punk-Held, der vom einstigen Szeneruhm zehrt.
Die Handlung spielt sich an einem sehr heißen Sommertag ab, an dem sich von den Hauptfiguren lang verdrängte Themen und große Fragen nicht mehr abschütteln lassen. Von „Du musst dein Leben ändern“ über „Bin ich zu alt für den Scheiß?“ bis zu „Ist das überhaupt noch meine Stadt?“ läuft es für alle auf mehr oder weniger bedeutende Entscheidungen hinaus.
Kump erzählt davon flott und unpathetisch in einer alltagsnahen Sprache, die im Duktus an die Popliteratur der 1990er erinnert. Das ist beste Lektüre fürs Freibad. Als Schwachpunkt offenbart sich lediglich, dass manche Figuren weniger Tiefe haben als andere. Die beiden Frauen sind vergleichsweise eindimensional geraten, während Lesbos, der als Klischeebild des würdelos gealterten Provinz-Punks eingeführt wird, im Laufe eines Abends überraschende Seiten zeigt.
Falter, Sebastian Fasthuber, Juni 2019



Altwerden mit Risikobiografie
Gehen Songtexter unter die Romanschreiber, ist oft Vorsicht angebracht. Nicht so bei Andreas Kump, Sänger der Linzer Band Shy, die eine Zeitlang zu Recht als beste Popband Österreichs galt. In „Über Vierzig“ beschreibt Kump einen Tag seiner Handvoll Protagonisten, einen Wendepunkt in ihrer Risikobiografie. Der Roman verhandelt eine Art Midlifecrisis von Menschen, die in ihrer Jugend in diversen Szenen verortet waren und die sich nun mit einem Leben rund um die 40 arrangieren müssen – und ihren alten Träumen, Überzeugungen und Lebenswürfen. Mit viel Lokalkolorit aus Wien und Linz und gutem Sound in der Sprache geht es schlicht um die Frage: Wie soll man mit seiner eigenen Jugendbiografie leben?
Christian Körber, ORF.at



Andreas Kump erzählt in seinem Roman „Über Vierzig“ fünf Geschichten über den Tag, an dem etwas in einem bricht. Der Knacks, den man unverweigerlich erleidet, wenn man an einem heißen Sommertag merkt, dass man aus der Zeit gefallen ist. Ein Buch über das Älterwerden und an der Vergangenheit festhalten.

Ganz ehrlich, jeder fühlt sich manchmal wie aus der Zeit gefallen. Man blickt zurück und fragt sich, wann ist es eigentlich passiert, dass man älter geworden ist? Und ist das, was man macht, wirklich das, was und wie man es machen möchte?
Im Roman „Über Vierzig“ werden fünf Geschichten über fünf Menschen an ein und demselben Tag im Hochsommer erzählt, über vierzig Grad hat es im Schatten und auch in der Gefühlswelt der Charaktere. Mona, die im Copyshop arbeitet, aber eigentlich eine Künstlerin ist, fragt sich, wie es so weit kommen konnte, dass sie das Wichtige so vernachlässigt hat, ihre Kunst. Roland ist im Dauerkrankenstand wegen seiner Panikattacken und sucht nach dem Grund für seine Unruhe. Lesbos hatte vor vielen Jahren, in seiner Jugend, eine erfolgreiche Band in Linz, fragt sich aber jetzt, ob das das einzige war, was er je Sinnvolles gemacht hat. Die lähmende Hitze verbindet sie alle, aber auch die nicht weniger lähmende Frage nach dem scheinbaren Stillstand des eigenen Lebens.

Momentaufnahmen aus der Midlife-Crisis
„Über Vierzig“ liest sich wie eine Momentaufnahme aus fünf verschiedenen Midlife-Krisen, gespickt mit dem Verlangen nach Abenteuer, Wildheit, Exzellenz und Veränderung. Wenn man nicht aufpasst, dann sind es schnell nur rückwärtsgewandte Erzählungen im Stil von „Früher war alles besser“ und erst auf den zweiten Blick erkennt man die Probleme, die feine Melancholie, die träge und schwüle Last der Vergangenheit.
„In jedem Leben kommt der Augenblick, in dem die Zeit einen anderen Weg geht als man selbst. Man lässt die Mitwelt ziehen“, heißt es etwa in „Der Knacks“ von Roger Willemsen. Und an genau diesem Augenblick steigt Andreas Kump in „Über Vierzig“ ein.

„Ich war selbst mal jung, dachte Lesbos. Aber ich war nicht so ferngesteuert wie der Kerl da. Ich hatte Stacheln auf dem Kopf, in allen Farben, um mich gegen vorbestimmten Mist zu wehren. Mich beschäftigten schon mit vierzehn die großen Fragen des Lebens. Wie bringt man ein Vakuum zum Verschwinden? Wann habe ich das Geld für den ersten London-Trip zusammen? Wo bekomme ich in dieser elenden Stadt eine vernünftige E-Gitarre her? Das waren die entscheidenden Aufgabestellungen damals. Im Grunde waren wir privilegiert. Hier gab es vor uns ja nichts. Wir konnten Pioniere sein.“

Sehnsucht nach der Jugend
Wenn man über die Vergangenheit spricht, wird man schnell wehmütig. Die Erinnerungen werden warmgehalten und die Welt, die sich verändert, wird argwöhnisch beäugt. In „Über Vierzig“ ist die Sehnsucht nach der Jugend immer präsent. Die Charaktere wollen, wenn sie schon nicht zurück in ihre Zeit reisen können, zumindest ihre Welt konservieren. Das ist ein Gefühl, das jeder kennt, die Sehnsucht nach der Unbeschwertheit der Kindheit, die Erinnerungen an die Schinken-Käse-Toasts im Freibad, Festnetzanschlüsse und Abenteuer der Jugend. Und was wir daran hassen ist, dass wir keine Wahl haben.
„Ich hab keine Lust mehr auf seine hängenden Schultern und die ganzen Zaudereien. Früher haben wir über alles gesprochen, jetzt ignorieren wir uns erfolgreich. Früher hatten wir Sex, jetzt haben wir Netflix.“
Andreas Kump hat schon 2007 das Buch „Es muss was geben – Die Anfänge der alternativen Musikszene in Linz” veröffentlicht und dieses Thema zieht sich auch durch seinen aktuellen Roman. Wie sein Charakter Lesbos hat auch er in einer Band gespielt, bis 2014 war er Mitglied der Linzer Band „Shy“, und wie sein Charakter Pia hat auch Kump in der Marketingbranche gearbeitet.

Popkulturelle Subkultur in Linz
Dadurch, dass Kump vermutlich eben auch viel über seine Welt, sein Linz und seine Subkulturen schreibt, bekommt „Über Vierzig“ auch seine besondere Authentizität. Man spürt das persönliche Anliegen und die echte Verwunderung darüber, was Linz war und was es heute ist.
„Über Vierzig“ reiht sich ein in eine Vielzahl an Erzählungen über die popkulturelle Subkultur. Rocko Schamoni hat erst unlängst seinen neuen Roman „Grosse Freiheit“ veröffentlicht, in dem er die Geschichte des popkulturellen Aufschwungs im St.Pauli der 70er anhand des Lebens eines legendären Puffbesitzers erzählt. Auch die Romane von Sven Regener oder Nagel sind gute Beispiele. Wer diese Autoren gerne liest, hat sicher auch mit Andreas Kump eine Freude. Was sie alle verbindet ist die andauernde Lust auf die Subkultur und das Abenteuer in einer spießigen Welt.

Radio FM4, Claus Diwisch, 23.5.2019

zum FM4-Interview



Wenn’s wirklich heiß wird in der Stadt, dann kleben auch die Gedanken fest. Und mit Alkohol ist nicht mehr allzu viel zu lösen. Es ist wirkliche Sahara-Hitze, die sich über Wien gelegt hat. Und nur im Freibad könnte man’s aushalten. Doch rastlos schiebt sich Roland durch die Stadt, weil er fürchtet, dass jetzt wirklich bald nichts mehr vorangehen könnte – auch in seinem eher unspektakulären IT-Leiter-Leben.
Ähnliche Blasen lässt die Affenhitze im Gemüt von Pia schlagen, die in ihrer Werbeagentur plötzlich als „Grand Dame“ gilt – und das als Beleidigung empfindet. Aber was soll Mona meinen? Immerhin ist sie studierte Konzeptkünstlerin – und überwacht nun stickige Druckvorgänge im Copy Shop. Oder Lesbos? Er war mal der ganz große Stenz von Linz. Punk-Bassist der ersten Sorte. Und so vergessen, dass nicht mal eine Band-Reunion Sehnsuchtsthema des Sommerabends wird.
Vielleicht hat ja sogar Tommi den solidesten Lebensweg. Er hat Muskeln, treibt Geld ein, verbreitet Schrecken. Und die Träume? Andreas Kump, vormals selbst als Sänger von Shy einer der Wirbelwinde der wilden Arbeiterstadt Linz, hat sich „Über Vierzig“ viel von der Seele geschrieben. Weil er Ösi ist, hat er Witz. Und das Verklären spart er sich ganz. Weil Punk nie aufhört. Ein frühes Hochsommerbuch. Dazu ein Dosenbier!

InMünchen, Rupert Sommer, Mai 2019



Andreas Kump hat seinen Vierziger schon hinter sich und versuchte als Sänger und Texter von Shy lange deutsche Texte, klassische Slackerhaltung und den englischen Popbegriff zu vereinen – und trotzdem immer in seiner Heimatstadt Linz verortet zu bleiben. Als echtes Stahlstadtkind hielten Shy den klassischen Willi-Warma-Somg am Leben und schufen große Songs und Beinahe-Hits wie „Neben den Schuhen“. 2004 erschien in der Spätphase der Band die CD „35 Sommer“. Der Titelsong feierte noch das unbeschwerte Leben und blickte mit Kraft und Freude der Zukunft entgegen. „Über 40“ ist jetzt quasi die Fortsetzung dieses Songs in Romanform, und die Vorzeichen haben sich wesentlich geändert. An einem glühend heißen Sommertag begleitet der Autor seine fünf Protagonisten durch ihren Tag. Da ist einmal Roland, der EDVler der ersten Stunde, der nach Panikattacken schon Monate im Krankenstand ist und seinen Hang zur Prokrastination auslebt, seine Frau Mona, die nach dem Kunststudium als großes Talent galt, aber schon viel zu lange im Copyshop arbeitet, ihre Beziehung zu Roland in Frage stellt und den gemeinsamen Sohn versorgt, dann Tommi, der Geldeintreiber und Nebenerwerbsdealer, der merkt, dass die körperliche Überlegenheit, die er in seinem Geschäft braucht, dem Ende zugeht und dessen jugendliche Leidenschaft für Blau-Weiß Linz schwindet, Pia, die eine Karriere in der Werbebranche hingelegt hat, zum Workoholic wurde und sich als Frau der Gefahr der jungen Kolleginnen mit noch strafferer Haut bewusst ist, und Lesbos, der in seiner Jugend als Sänger einer legendären Band zum Lokalheroen wurde und seit Jahrzehnten dem Müßiggang und dem Biertrinken frönt, aber der Idee einer einmaligen Reunion der Band nicht abgeneigt ist, da eine fette Gage winkt.
Kump hält Distanz zu den Figuren in dieser Versuchsanordnung und wertet die Wohlstandsprobleme und Lebenssituationen in keiner Zeile. Obwohl er selbst seit vielen Jahren als Werbetexter arbeitet, bliebt seine Quasikollegin Pia ein oberflächliches Rätsel, während der Tag mit Tommi zu einem saftigen dreidimensionalen Lesevergnügen wird, in dem Themen wie Ehre und Liebe zum Fußball, zu seinem Verein und die damit verbundenen Verpflichtungen zur Selbstverständlichkeit werden.
Auch die nur skizzierte Beziehung zu seiner Freundin ist von einer wunderbaren Klarheit, die ihn von den dahinschlurfenden Bobos abhebt.
Mit „Über 40“ zeigt Andreas Kump Schlaglichter einer Generation, die dem Scheitern ins Auge schauen muss, und lernt, dass es immer im Leben um Momente geht, die selbst erkämpft werden müssen. Er ersucht seine Generation höflich, aber bestimmt doch endlich den Hintern in die Höhe zu bringen, das Heft in die Hand zu nehmen und den Begriff „jammern“ aus dem Wortschatz zu streichen.

Günther Schweiger, FAQ-Magazin, Mail 2019



Die erste Klammer wird von der Sauhitze gebildet. Die hat einst schon bei „Falling Down – Ein ganz normaler Tag“ mit Michael Douglas einen Amoklauf durch Los Angeles entschieden begünstigt. Und dass den Leuten da draußen gerne einmal die Kabel durchbrennen, wenn sich die nicht von ungefähr auch als „gelbe Sau“ bekannte Sonne wieder einmal besonders erbarmungslos gibt, ist hierzulande außer aus dem ganz normalen Alltagswahnsinn nicht zuletzt durch Ulrich Seidls Schelmenstück „Hundstage“ von 2001 bekannt. Stichwort: „La Cucaracha!“
In Richtung Niedertracht oder gar Blutrausch (mit einer Ausnahme, in der es allerdings darum geht, mit ein paar Gnackwatschn im Kleinkriminellenmilieu der sogenannten Ehre gerecht zu werden) bewegt sich Andreas Kump mit seinem Debütroman
allerdings nicht. „Über vierzig“, dessen Titel zum einen die hochsommerlichen Saharatemperaturen in Wien und Linz und zum anderen das handelsübliche Jahrzehnt einer Midlife-Crisis adressiert, bringt uns fünf Hauptfiguren näher, die nicht nur aufgrund durchgeschwitzter T-Shirts und glühender Mauerschluchten buchstäblich im Leben festkleben: Roland wird von Panikattacken dazu gezwungen, Terminen großräumig auszuweichen und im Kongressbad der Tagesfreizeit beim Vergehen zuzusehen, während seine im Copyshop jobbende Frau Mona mit ihrer gescheiterten Künstlerexistenz hadert und es jetzt auch noch mit den Bürden des De-facto-Alleinerziehens zu tun bekommt.
Pia droht als Büroveteranin in ihrer Werbeagentur ausgebootet zu werden. Tommi blickt als
Schuldeneintreiber auf stahlstadthartem Pflaster auf eine Zeit zurück, als die Sozialdemokratie noch mächtig und die VOEST Eigentümerin eines Fußballvereins war. Und Lesbos, dessen Kosename auf eine „Gibson Les Paul“-Gitarre zurückgeht, ist historisch auf den Lokalmatador mit der Linzer Band BH-Wert festgelegt, an die sich die jungen Leute von heute eher nicht mehr erinnern. Die Ironie aber will es, dass sich der Silberrücken in seiner aktuellen Rolle als Barhocker ausgerechnet in die junge Schankkraft verschaut, die seine
Tochter sein könnte. Andreas Kump hat mit seiner Band Shy (1991–2014) ein Stück
heimische Popgeschichte geschrieben – noch lange, bevor vom „österreichischen Popwunder“ die Rede war. Er hat den Linzer Underground in seiner Oral History „Es muss was geben“ (2007) verewigt und mit „Erstmals zurück – Das unglaubliche Aufstiegsrennen des FC Blau-Weiß Linz 2011“ (Eigenverlag, 2012) auch seiner bevorzugten Fußballmannschaft ein Denkmal erbaut. Das damit verbundene Herzblut ist in „Über vierzig“ ebenso eingeflossen, wie sich Kumps Erfahrungen in der Werbebranche in diesem kurzweiligen
episodischen Langtext nicht nur zwischen den Zeilen spiegeln.
Der Entschluss, sich zu trennen, ein überraschendes und finanziell überzeugendes Angebot
für eine Band-Reunion, die Wiederbegegnung mit einem verstrahlten Bekannten aus goldenen Tagen und ein zum Ausbruch taugender Aufbruch nach Urfahr bringen plötzlich Veränderung in den Alltag – und Tempo in die Erzählung.
Wir haben es in „Über vierzig“ nämlich definitiv nicht mit Mittlebenskrisen zu tun, die
auf den Erwerb eines Ferraris und einen ersten Zwischenstopp in der nächsten Hausmauer zusteuern, sondern mit mitunter sentimentalen Blicken und leisen Zwischentönen einhergehen.
Es geht etwa um die Frage, wann, wo und warum man in ein Zeitloch gefallen ist und welche
Kompromisse man unter den veränderten Rahmenbedingungen (nicht) gemacht hat – betrachtet nicht zuletzt über die Verweigerungshaltung von einst und das empfundene Freiheitsgefühl der 90er Jahre, dem das disziplinierte Gefüge einer längst leistungsorientierten Gegenwartsgesellschaft gegenübersteht. „Auch die Drogen waren andere gewesen. Damals ging es um Bewusstseinserweiterung, um Fantasie. Jetzt ging es ums Durchhalten.“
Es regiert aber auch kein „Früher war alles besser“ den Tonfall, sondern ein Zweifeln, das keinem denkenden Menschen mit den Jahren fremd sein wird. Darüber, dass der Krisenteufel in Zeiten der kollektiven Beschleunigung auch unter vierzig schon hart zuschlagen kann, dann ein andermal mehr.

Wiener Zeitung, Andreas Rauschal, 27./28.4.2019

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