264 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, Fadenheftung, Leseband

€ 23.00

ISBN 978-3-903184-68-8

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Silvia Pistotnig

Teresa hört auf

Teresa wird es zu viel. All die Ansprüche, die Vorwürfe, die Schuld. Am Frausein, am Weißsein, am Geldhaben. In einer Gesellschaft, die alles immer mehr in Frage stellt, verliert sie sich aus den Augen. Sie zieht sich zurück und macht sich selbst zum Experimentierfeld. Verwechselt Ablehnung mit Freiheit. Ein messerscharfer Gegenwartsroman.

Teresa, knapp 30, Tochter eines Gynäkologen und einer Psychotherapeutin, arbeitet in einer Maturareisen-Agentur. Die Arbeit dort erscheint ihr sinnlos, die Generation Selfie hängt ihr zum Hals heraus. Teresas Weltsicht hat sich in den letzten Jahren immer mehr verfinstert, Menschen sind ihr zu anstrengend, jede Begegnung ist mühsam. Selbst Tiere sind ihr suspekt.
Fortan macht sich die junge Frau selbst zum Mittelpunkt. Sie setzt sich Extremen aus – einem Dreimonats-Rhythmus, dem sie akribisch folgt: Tägliche Solariumbesuche, kein Waschen mehr, Fressorgien, Schlafentzug, die Strapazen geben sich die Klinke in die Hand. Ihre körperlichen Veränderungen hält die talentierte Zeichnerin in detaillierten Bildern fest. In Rückblenden wird auch Teresas Vergangenheit aufgerollt, darunter ihr freiwilliges Jahr in Ghana, das sich als ganz anders als erwartet, herausgestellt hat.
Teresa will widerstreben … all ihr wildes Streben schockiert aber eigentlich nur ihre Eltern. Und dann lernt sie beim Kühlregal im Supermarkt Nicole kennen: um die Fünfzig und fresssüchtig …

Alles muss man richtig machen. Aber wie geht das richtige Leben? Silvia Pistotnigs Hauptfigur Teresa vergeht vor lauter Müssen das Wollen. Pointiert, provokant, staubtrocken.

„Wir sind so erpicht, uns von unseren Eltern zu unterscheiden, und am Ende sind wir ihr Ebenbild.“

»Das passt zu Ihnen.«
Wenn ich sie jetzt frage, warum sie das glaubt, woher sie wissen will, was zu mir passt, was das überhaupt heißen soll, »zu mir passen«, dann wird sie ihren Mund halten und ich kann mich anschauen, in einem riesigen Spiegel. Ich werde mich nicht sehen. Nur ein Haar. Den Ausschnitt meines Mundes. Ich weiß, dass mir nichts passt, weder Blau noch Rot, kein Grün und kein Gelb, mir passt die Kälte nicht und nicht die Wärme, kein Lärm und keine Stille, die Welt nicht und was auf ihr passiert. Woher sollte gerade eine Vekäuferin wissen, dass mir nichts und nichts zu mir passt?
»Ich habe da eine Idee.« Sie legt den Zeigefinger über die Lippen, ihre Nägel sind lang, unecht und dunkelrot lackiert. »Lassen Sie mich kurz überlegen, einen Moment.« Sie verschwindet aus meinem Spiegelbild und kommt mit einem grauen Poncho wieder, den sie mir umhängt, als wäre ich eine Schaufensterpuppe. »Sieht auch gut aus.«
Sie kann nicht wissen, dass ich mich nicht erkenne, dass ich mich nicht sehe, egal, was sie mir an oder umlegt. Vor dem Spiegel bin ich ein nacktes Puzzle. Ich betrachte ihr konzentriertes Gesicht, ich will es aufbewahren, mache ein Selfie im Kopf und lege es in meinem Gedächtnisspeicher ab.
»Was sagen Sie dazu?«
Ich habe nichts zu sagen. Ich rülpse laut. Das Dosencola hat seine Wirkung nicht verfehlt. Auf dieses Getränk ist Verlass. Die Frau erschrickt. Fast lässt sie das Kleidungsstück fallen. Sofort darauf tut sie so, als wäre nichts passiert. Was für eine langweilige Reaktion. Wortlos gehe ich in die Kabine zurück. Ich stelle mir vor, wie sie den Kopf schüttelt, die Augen verdreht, leise seufzt, mich für die Arbeit verflucht, die ich ihr mache, und ich lächle. Ich mag es, wenn die Leute sich über mich ärgern, das sorgt für schlechtes Karma, und das schlechte Karma, das bin ich.
Fünf Oberteile und einen Poncho lasse ich auf dem Hocker liegen. Ich verlasse das Geschäft, verabschiede mich höflich, »Auf Wiedersehen«, sage ich sehr freundlich zu den Kleidern, Jacken und Hosen. Die Verkäuferin ist verschwunden. Wahrscheinlich hat sie sich ins Lager verdrückt und tippt mit ihren Krallen gerade eine WhatsApp an ihre Freundin: »Stell dir vor, da hat eine Kundin voll laut gerülpst! Ich pack es nicht!«
Draußen verweht der Wind Staub, Blätter und Zigarettenstummel. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein Bekleidungsgeschäft betreten habe. Ich kaufe alles online, nur wegen der plötzlichen Hitze musste ich schnell leichte Hosen besorgen. Die vom Vorjahr habe ich weggeworfen, sie waren verwaschen, kaputt. Ich kaufe immer dieselben, jedes Jahr, keine Überraschungen, nur die Größe variiert manchmal, je nachdem, welches Projekt ich gerade am Laufen habe.
Auf dem Nachhauseweg ruft mich meine Mutter an, die Einzige, die noch immer versucht, mich als Freundin zu gewinnen. Ich hebe nicht ab.
Vor dem Hofer gibt es nur einen einzigen Einkaufswagen. Wir kämpfen, und ich gewinne; die Frau mit ihrem Gehstock und dem verfressenen Pudel, den sie noch anhängen muss, ist nicht schnell genug, ich erreiche den Wagen vor ihr und höre sie fluchen. Beim Hofer gilt Höflichkeit nicht, kein noch so mitleidsvolles Wesen kann mich hier aufhalten.
Im Geschäft ramme ich die Hüfte einer viel zu stark geschminkten Frau, ergattere die letzten Schokokekse und stoße mit einem Wagen zusammen, der bei den Fertigprodukten im Weg steht. Ich müsste mir einen ganzen Urlaubstag nehmen, um richtig einzukaufen. Warum nicht? Andere fahren weg oder rasten sich aus, machen irgendwelche unnötigen Wellnessurlaube in überteuerten Hotels, wo sie sich in versifftem Thermalwasser treiben lassen. Ich bin zynisch, oder? Mir reicht ein Urlaubstag, um mit Pensionistinnen und Jungmüttern an Regalen vorbeizuspazieren, die mir in ihrer Pracht entgegenleuchten. Wer braucht Natur, wenn es so viele Konsumwaren gibt?
Nach dem Einkaufen bringt mich der Lift in meinen Palast, denn ich bin eine Königin. Aber das ist nicht sicher, vielleicht bin ich auch eine Hexe und da oben ist mein Hexenhorst. Ich lasse die Säcke fallen und öffne die Terrassentür. Zu meinen Füßen liegt die Stadt, über mir ist nur noch der Himmel.
Das Handy reißt mich aus meinen Gedanken. Es steckt in meiner Tasche in der Garderobe, doch der durchdringende Ton macht vor der räumlichen Distanz nicht halt. Es läutet und läutet, kurz ist es still, dann beginnt es von vorn. Nur meine Mutter besitzt die Penetranz, gleich zweimal hintereinander anzurufen. Der Handyton, den ich für ihre Anrufe verwende, klingt wie eine Polizeisirene, vor der man davonläuft, als hätte man ein schlimmes Verbrechen begangen.
Ich muss es trotzdem eingeschaltet lassen, »Ich melde mich am Abend«, hat die Marketing-Frau von Coca-Cola gesagt und dabei gestresst geklungen. Wahrscheinlich muss sie während der Arbeitszeit ständig Facebook abrufen und über WhatsApp Herzchen verschicken.
Auf der Terrasse stehen zwei Stühle und ein Tisch, der Holzboden ist neu, die schmalen Balken aus Diamantnuss hat meine Mutter ausgesucht, ökologisch und optisch unaufdringlich, aber hochwertig. Genauso wie sie sein möchte. Mir ist ein Boden unwichtig, mit den schweren, protzigen Fliesen davor konnte ich genauso gut leben.
Von den unteren Wohnungen dringen Stimmen nach oben. Das Volk ist immer so lärmend, kann es nicht seinen Mund halten? Doch ich habe kein Heer, keine Getreuen, nur die Tauben können ihnen auf die Köpfe scheißen. Die Tauben sind meine Verbündeten, solange sie sich von mir fernhalten.
Ich ziehe mich in die Gemächer zurück, schließe die Terrassentür, obwohl es heiß und stickig ist, die Stimmen sind mir lästig. Hier hat sich meine Mutter noch nicht durchgesetzt – altmodische, viel zu kitschige Glanzfliesen zieren den Wohnzimmerboden, kalt und unpersönlich, passend für eine Königin. Oder eine Hexe.

Die „Generation Selfie“ rückt das Abbilden der eigenen Person in den Mittelpunkt. Die Art und Weise, wie sich junge Menschen mittels Selbstporträts ins virtuelle Schaufenster stellen, orientiert sich dabei am Gefälligen und an den ästhetischen Standards des Mainstreams. In gewisser Weise sei die Generation Selfie eine Generation von „Normopathen“, die sich lieber dem Geschmack der Masse unterwirft, als mit Individualität zu experimentieren - so eine Studie vom Institut für Jugendkulturforschung. Teresa, Mitte 30, Akademikertochter, die Protagonistin in Silvia Pistotnigs neuem Roman „Teresa hört auf“ verabscheut alles was diese Generation ausmacht. Sie ist gewissermaßen das Gegenteil einer Normopathin und beschließt eines Tages radikal aus der Gesellschaft auszusteigen.
Teresa wird alles zu viel - die Ansprüche, die Erwartungen, die Schuld. Sie weiß, dass sie ein privilegierter Mensch ist, bloß wie Leben geht, weiß sie nicht. Ökologisch unkorrekt zu handeln, sei ihr einziges Hobby, sagt sie.
Doch wie kann man weniger falsch leben? Wir beschweren uns auf Facebook darüber, dass die Reichen immer reicher werden und vergessen dabei: Die Reichen, das sind ja wir. In einer Welt, in der sich alles nur um Likes und Retweets dreht, will Teresa nicht mehr mitspielen. Sie will nirgends mehr hin, nichts mehr erleben und keine neuen Erfahrungen mehr machen. Denn selbst wenn sie zum abgelegensten Ort der Welt reisen würde, irgendwer wäre schon vor ihr dort gewesen und hätte das auf Instagram dokumentiert.
Teresa kann sich auch selbst nicht mehr erfassen. Ganz konkret ist sie nicht dazu in der Lage, sich im Spiegel zu erkennen, sich ein Gesamtbild ihrer selbst zu machen. Und so setzt sie ihren Körper alle drei Monate immer extremeren Projekten aus: Sie verzichtet auf Hygiene, Schlaf oder geht täglich ins Solarium. Gerade hat sie die Bulimie für sich entdeckt und in der adipösen Nicole eine Projektpartnerin bzw. Freundin gefunden. Die täglichen Fressorgien samt anschließendem Heraufwürgen kann man wohl auch als Kommentar zur Gesellschaft lesen. Darüber hinaus benutzt sie ihre neue Freundin als Spiegel oder, wenn man so will, als eine Art analoge Selfie-Kamera. Sie bittet Nicole sie exakt zu beschreiben, Körperteil für Körperteil, damit sie sich selbst zeichnen kann.
Teresa ist eine schräge, provokante Antiheldin, die mit ihrer Art des passiven Widerstands an die Protagonistin in Ottessa Moshfeghs viel beachtetem Roman „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ erinnert. Die Erzählerin verordnet sich darin ein Jahr Winterschlaf, ist mit ähnlich morbidem Humor ausgestattet und kommt ebenfalls aus gutem Hause - einzig die tragische Familiengeschichte fehlt Teresa.
Teresas Verhalten nimmt zunehmend psychopathische Züge an, etwa als sie mit Nicole und deren Sohn ein merkwürdiges Triptychon der Liebe eingeht. Man möchte sie rütteln und bitten wieder zur Besinnung zu kommen. Ähnlich geht es ihren Eltern, die angesichts des verstörenden Verhaltens ihrer Tochter verzweifeln. Leichter wäre es, gäbe es zumindest eine Erklärung oder Bezeichnung dafür: Eingeschränkte Sehfähigkeit kombiniert mit Borderline-Syndrom etwa, dazu autoaggressives Verhalten oder Depersonalisation. Doch Teresa entzieht sich allen Zuschreibungen und Diagnosen.
Teresa ist nicht mit der klassischen Opferbiografie einer psychisch kranken Person ausgestattet, sie ist einfach ein Opfer der Zeit. Denn sind nicht all jene Modediagnosen Symptome einer kranken Gesellschaft? Sich darin zu verorten und sich als Individuum zu definieren scheint in der Generation Selfie immer schwieriger zu werden. Silvia Pistotnigs brillanter Roman macht das auf beklemmende Weise spürbar.
Ex libris, 13.6.2021, Beitrag: Claudia Gschweitl



Dieses Buch ist nichts für sensible Gemüter und empfindliche Mägen. Was sich hinter Silvia Pistotnigs Romantitel "Teresa hört auf" verbirgt, ist ein radikales Aussteigen aus allen sozialen Zusammenhängen und Erwartungen. Da kann es den Lesern leicht ergehen wie den Eltern der jungen Frau, die fassungs- und ratlos zusehen müssen, wie sie ihre Tochter zusehends verlieren und auch psychiatrische Hilfe nicht möglich ist. Ohne Selbst- oder Fremdgefährdung gibt's keine Einweisung.
Vor vier Jahren hat die in Wien lebende Kärntnerin Silvia Pistotnig mit einem Roman rund um die in einem Sonnenstudio jobbende Schulabbrecherin Julia, genannt "Tschulie", Erfolg gehabt. Gegen Teresa ist Tschulie jedoch ein Vaserl. Die künstlerisch hochbegabte Ex-Wirtschaftsstudentin arbeitet zwar in einem Teil des Buches in einer Agentur für Maturareisen, kündigt jedoch ihren Posten, in dem sie anerkannt und erfolgreich, doch genervt war, um sich ganz ihrem nächsten "Projekt" zu widmen.
Diese Projekte könnte man zwar als soziale Skulpturen oder Performances interpretieren, und die hyperrealistischen, detailgenauen Zeichnungen von Körperteilen, die Teresa von sich anfertigt, um ihr zerrissenes Ich allmählich wieder zusammenzufügen, zählen zu den interessantesten Ideen des Buches, doch in vielen Rückblenden wird immer klarer, dass ihre akribisch geplanten und konsequent verwirklichten Projekte mehr mit der Emanzipation von ihren konservativen Eltern (ein Gynäkologe und eine Psychotherapeutin) und psychischen Störungen als mit Kunst zu tun haben.
Die Erfahrungen während eines Freiwilligen-Jahres in Ghana haben wohl an der Veränderung von der altruistischen, weltoffenen zur abweisenden, verschlossenen Persönlichkeit einen Anteil, doch ganz erklärbar ist das alles nicht - auch nicht in Therapie-Sitzungen. Diese schildert Pistotnig geradezu genüsslich, denn die Sitzungen absolviert nicht Teresa, sondern ihre Mutter, die dabei ihr eigens Scheitern als Therapeutin aufarbeitet.
Teresa, die sich mitunter auch Betty oder Yvonne nennt, hat ihr Ich-Bewusstsein verloren und setzt sich immer extremeren Prüfungen aus, um den Kern ihrer Persönlichkeit zu finden. Was passiert mit ihr und ihrer Umgebung, wenn sie sich monatelang nicht mehr wäscht? Nicht mehr schläft? Nur noch ungesundes Zeug, das dafür in Massen, zu sich nimmt? Bei ihrem Fressorgien-Projekt lernt sie Nicole kennen, die zu ihrer engsten Bezugsperson wird. Während Teresa alles Gegessene wieder erbricht, behält Nicole es bei sich. Der Unterschied ist im zweistelligen Kilobereich zu messen. Richtig gespenstisch wird es, als Teresa erfährt, dass Nicole einen erwachsenen Sohn hat und diesen zu ihrem nächsten Projekt auserwählt: Um Nicole nahe zu sein, möchte sie sie zur Oma machen. Sie verführt den Sohn, wird schwanger - und macht der Freundin das Kind zum "Geschenk". Da hört sich dann alles auf. Nur nicht das Buch. Denn das hat noch einen Epilog, der es ebenfalls in sich hat.
"Teresa hört auf" ist ein eindringlicher Roman und eine beklemmende Fallstudie. Glücklich wird man mit dem Buch nicht. Aber das ist ja wohl auch nicht die Aufgabe von Literatur.

Vol.at Vorarlberg Online, Mai 2021


Extreme Experimente

Silvia Pistotnigs „Teresa“ fragt: Wie geht Leben? Man möchte diese Teresa gerne anschreien: „Hör auf mit dem Aufhören!“ Die hocheffiziente Mitarbeiterin einer Agentur, die Maturareisen organisiert, hat sich privat aus dem „normalen“ Leben herausgenommen und
eine Serie von extremen, dreimonatigen Experimenten gestartet: kein Schlaf, keine Körperhygiene, keine Bewegung. Wie sich dabei ihr Körper verändert, dokumentiert sie in Zeichnungen. In ihren Monaten als Bulimikerin lernt sie die fresssüchtige Nicole kennen – und damit endlich jemanden, dem sie sich nahe fühlt. Man kann den Roman der Kärntnerin
Silvia Pistotnig als scharfe Kritik an einer egozentrischen und konsumsüchtigen Gesellschaft lesen. Und man kann ihn als Psychogramm einer jungen Frau lesen, die von den vielfältigen Ansprüchen überfordert ist und verzweifelt versucht, die Leere zu füllen. Teresa sagt von sich, dass sie nicht weiß, wie Leben geht. Eindringlich, beklemmend.

Kleine Zeitung, Marianne Fischer, Mai 2021


Die Protagonistin von Silvia Pistotnigs mit Spannung erwartetem neuen Roman heißt Teresa und präsentiert sich auf den ersten Seiten des Buches als misanthropische Einzelgängerin, die an ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt wenig Interesse hat und dies auch offen zur Schau trägt. Ihre Geringschätzung bekommen alle unterschiedslos zu spüren, angefangen von hilfsbereiten Verkäufer/inne/n oder besorgten Nachbar/inne/n bis zu ihren Arbeitskolleg/inn/en oder Eltern. Teresas Verachtung ist Programm: "Ich mag es, wenn die Leute sich über mich ärgern, das sorgt für schlechtes Karma, und das schlechte Karma, das bin ich." Sie arbeitet in einer Maturareisen-Agentur, mit deren Chef sie eine kurze Affäre verbindet, die Teresa weder körperlich noch emotional als berührend erlebt. Ihre Tätigkeit dort interessiert sie wenig, trotzdem begegnet sie sämtlichen Herausforderungen mittels ihrer "eisigen Coolness" tough und effizient. Später wird sie ihren Beruf gerade wegen seiner Sinnlosigkeit als perfekt zu ihrer Persönlichkeit passend beschreiben.
Teresa mutet aber nicht nur ihren Mitmenschen einiges zu, auch ihren Körper setzt sie in regelmäßigen Abständen selbstauferlegten "Projekten" aus, die sie detailliert dokumentiert und analysiert. Nach einem über mehrere Monate andauernden Schlafentzug, dem völligen Verzicht auf Körperpflege oder der größtmöglichen Reduktion sämtlicher Bewegungsabläufe (Stichwort Oblomow) ist das aktuelle Projekt Fress-/Brechsucht: "Bulimie passt wie ein perfektes Outfit zu mir, es ist eines meiner Lieblingsprojekte. Ich bin immer hungrig und finde mich zum Kotzen, ist das nicht lustig?" Bei einem ihrer Großeinkäufe lernt Teresa Nicole kennen, die ihre Leidenschaft für das Essen teilt, allerdings nicht den Zwang verspürt, es nachher wieder von sich geben zu müssen, was sich in ihrer körperlichen Erscheinung niederschlägt: "Sie ist ein Ballon, ja, ein Ballon! Von ihrem runden Kopf führt ein dicker Hals zu einem aufgeblasenen Körper, aus dem fleischige Arme ragen […]." Von nun veranstalten die beiden ihre Fressgelage gemeinsam und Nicole wird für Teresa zur wichtigsten – und einzigen – Bezugsperson. Sie stellt keine Fragen und hat keine Erwartungen, sondern akzeptiert Teresa so wie sie ist, mit all ihren Eigenheiten und Dispositionen. Damit ist sie auch die Einzige, die Teresa Verständnis entgegenbringt und versucht, deren Nöten auf den Grund zu gehen. Denn Teresa ist psychotisch, sie leidet unter einer gestörten Selbstwahrnehmung. Ihren eigenen Körper kann sie im Spiegel nur stückweise und nicht als Ganzes erkennen, weswegen sie detaillierte Zeichnungen jedes einzelnen Körperausschnitts anfertigt, die sie in ihrem Kasten sammelt. "Ihr Körper ist wie eine Hülle. Sie wollen keine Vergangenheit und keine Zukunft. Keine Pläne. Keine Wünsche. Ich habe mich getäuscht und doch wieder nicht. Sie erstellen Konzepte, Sie machen Projekte, um ihre Leere zu füllen. Sie machen das, und es ist hart und brutal. Ich glaube, Sie tun das nur, damit Sie spüren, dass Sie da sind." Damit gelingt Nicole eine Diagnose, die Teresas Mutter – von Profession ausgebildete Psychotherapeutin – verwehrt bleibt, diese kann mit der psychischen Erkrankung ihrer Tochter nicht umgehen und hat jegliche Interventionsversuche aufgegeben.
Pistotnigs Talent, Situationen und Charaktere zugespitzt und ohne Scheu vor Übertreibung darzustellen, sorgt auch in diesem Roman für viele komische Momente; auf die staubtrockenen Kommentare der Erzählinstanz, die bei der Lektüre ihres letzten Romans Tschulie an der Grenze zur political correctness für Lachsalven sorgten, muss man auch in Teresa hört auf trotz des vergleichsweise ernsteren Stoffes nicht verzichten. So amüsant wie bitterböse ist z. B. der aktuelle Pandemie-Bezug bei der Schilderung von Teresas Abscheu vor körperlicher Nähe: "er ist der Bussi-Bussi-Typ, eine der schlimmsten Angewohnheiten der Wiener Gesellschaft, wenn doch irgendeine Krankheit sie zunichtemachen könnte." Oder der Sarkasmus gegenüber der intellektuellen Unbedarftheit eines früheren Liebhabers, der Teresa einen feurigen Brief voller Rechtschreibfehler schickt: "Auch wenn dieses fehlerhafte Schreiben entzückend war, interessierte es sie nicht."
Pistotnigs Roman brilliert auf sprachlicher Ebene durch Klarheit und Präzision; der engmaschige Zaun, mit dem sich Teresa von der Außenwelt abschottet, wird auch syntaktisch spürbar: "Ich muss die Zähne zusammenbeißen. Ich muss mich aufraffen. Ich muss weitermachen. Ich muss gar nichts. Mein Handy ist ausgeschaltet. Die Fenster sind geschlossen. Nichts von draußen dringt in mein Reich. Ich bin allein." Und auch auf erzähltechnischer Ebene gelingt Pistotnig durch die Verschränkung von Ich-Perspektive und auktorialer Erzählhaltung eine plausible Darstellung von Teresas Ich-Störung und den Schwierigkeiten ihres Umfeldes, diese zu akzeptieren. Teresa hört auf ist ein einfühlsames und eindringliches Psychogramm einer jungen Frau, das unsere Vorstellungen von Wahrnehmung und Normalität nachdrücklich auf die Probe stellt, wie sich letztendlich auch Teresas Mutter eingestehen muss: "Normal. Ein Wort, das sie selbst nicht ausstehen konnte, weil es ausgrenzte, festlegte, klar definierte, was nicht definierbar war"

Literaturhaus Wien, Veronika Hofenender, April 2021


Ein extremer Roman: Es gibt zu viel Muss heutzutage, da vergeht das Wollen. Nach Tschulie, der „Proletenschlampe“, die vom Leben etwas will: fernsehen, essen und schlafen – fernsehen wegen der Bildung, denn aus den „Vampire Diaries“ weiß sie jetzt, was depressiv heißt ... nach „Tschulie“ (so heißt Silvia Pistotnigs erster Roman, 2017) kommt Teresa: um die 35, reiches Elternhaus, erfolgreich im Job, aber: „Ich mag, wenn sich die Leute über mich ärgern, das sorgt für schlechtes Karma.“ Teresa ist schlechtes Karma.
Bei so viel Müssen ist Teresa die Lust am Wollen vergangen ist. Sie mag nichts von sich wissen und experimentiert ohne Rücksicht: drei Monate nicht waschen, drei Monate vollstopfen und kotzen, ein Kind auf die Welt bringen ... eines, das gern lebt.
Diese Autorin hat immer Witz. Wer sich beim Lesen allerdings in Sicherheit wiegt, den macht die gebürtige Klagenfurterin Silvia Pistotnig (Foto oben) schlagartig traurig. „Teresa hört auf“, denn nichts hat für sie Bedeutung. Sie ist extrem. Sie steckt in uns allen. Man will Teresa sofort helfen. Aber es ist nur ein Buch. Wirklich nur?
Kurier, Peter Pisa, April 2021


Schlechtes Karma

Eine Frau teilt aus. Wenn die weibliche Hauptfigur aus Silvia Pistotnigs neuem Roman „Teresa hört auf “ etwas nicht ausstehen kann, dann Gefühligkeit.
Die Menschen mit ihren banalen Bedürfnissen – ein Wellnessurlaub in versifftem Thermalwasser – gehen ihr auf die Nerven. Zynismus gehört zu ihrer Serienausstattung, Weltekel zum Grundgefühl. „Ich mag es, wenn die Leute sich über mich ärgern, das sorgt für schlechtes Karma und das schlechte Karma, das bin ich“, sagt Teresa, die in einer Agentur arbeitet, die Maturareisen organisiert. Eine gewisse Abgebrühtheit und Nerven aus Stahl kommen ihr bei diesem Job durchaus zugute. Ihren Chef beschreibt sie: „Er ist hier der einzige Mann und der einzige ohne Matura: der Geschäftsführer.“
Pistotnig, 44, ist Expertin für schräge Frauenfiguren, die sich als Außenseiterinnen wahrnehmen, dabei aber ziemlich schillernd sind. Nicht zuletzt, weil sie so klug beobachten können. Weil ihr Blick auf die Umwelt gnadenlos und entblößend witzig ist.
Auch Teresa ist ein Original. In ihrer Freizeit geht sie einem seltsamen, recht anstrengenden Hobby nach: Im Dreimonatsrhythmus denkt sie sich Projekte aus, die ihren Körper, aber auch ihre Umwelt an ihre Grenzen treiben – von vernachlässigter Hygiene über Schlafentzug bis zum täglichen Solariumbesuch. Ein Sexualitätsprojekt wurde fallengelassen, weil es ihr „zu langweilig, zu wenig radikal“ erschien. Im Moment steckt sie mitten im 13. Projekt: Bulimie, der „Oldtimer unter den Essstörungen“.
Der Roman hat einen ernsten Kern, Teresa leidet unter Dysmorphophobie, sie kann ihren Körper nicht als Ganzes wahrnehmen. Es gehört zu den Stärken dieses überhaupt sehr tollen Romans, dass er keine banalen tiefenpsychologischen Erklärungsmuster bedient. Ähnlich wie Ottessa Moshfegh in ihrem gefeierten Buch „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ (2018) setzt Pistotnig auf eine radikale Konstruktion, um über abstruse Frauenbilder in unserer Gesellschaft zu reflektieren, ohne aus ihrer Hauptfigur dadurch automatisch eine gängige Krankengeschichte oder gar ein Opfer zu machen.
Der Roman schlägt zahlreiche Haken, die man besser nicht verrät. So viel aber darf man verraten: Im Zentrum von „Teresa hört auf “ steht eine ungewöhnliche Freundschaft, die sich zur Obsession entwickelt.
Im Supermarkt lernt die Protagonistin Nicole kennen, eine Frau um die 50, die fresssüchtig ist. „Ein Ballon“, denkt Teresa: „Wahrscheinlich hat sie Diabetes und verfettete Organe.“ Der erste Eindruck trügt: Allein wie diese Nicole im Laufe des Buches an Würde gewinnt, ist herzergreifend zu lesen. Obwohl Teresa diese Beschreibung sicher furchtbar pathetisch und daneben finden würde!

Falter, Karin Cerny, April 2021

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