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€ 25.00
ISBN 978-3-903460-27-0
270 Seiten
Hardcover mit SU, Leseband
DER HOLZAPFELADAM
Moshammers Roman handelt von der nahen Zukunft. Von einer Welt ohne Sicherheiten, in der keine Regierung oder Institution mehr Regeln vorgibt, in der alle sich selbst überlassen sind. Jeder kämpft für sich allein. Doch aus dem Chaos erwächst Menschlichkeit. Was bedeutet es, inmitten einer grausamen Welt gut zu sein?
Adam Holzapfel ist dreiundzwanzig und lebt in der Großstadt. Vor neun Jahren hat er seine im Wald zurückgezogen lebenden Tanten, die Holzapfelschwestern, die sich um seine „Erziehung“ gekümmert haben, verlassen.
Die Großstadt ist in drei Zonen aufgeteilt. Zone A ist abgesperrt, niemand weiß Genaues, doch Gerüchte machen die Runde, dass dort die Reichen im Überfluss leben.
Zone C ist wild und gefährlich, unkontrolliertes Niemandsland, dort regieren Banden, Plünderer und Drogenproduzenten.
In Zone B lebt Adam mit der Bulgarin Rumena, die sich um ehemalige Prostituierte kümmert. Das Wohlstandsniveau ist niedrig, alles ist rationiert. Der Mensch ist sich selbst überlassen, hier leben Obdachlose, Junkies, Flüchtlinge. Außerdem gibt es viele radikale Aktivisten, die alles Menschengemachte verteufeln, die Natur vergöttern oder militanten Feminismus vertreten.
Adam hat sich in die junge Verkäuferin Veronika verliebt. Doch das Glück ist von kurzer Dauer, denn eines Tages ist sie verschwunden und eine abenteuerliche Suche beginnt.
Gestern erhielt ich eine seltsame E-Mail von den Posttraumatistinnen, einer Splittergruppe des Feministischen Untergrunds (FU), die von mir gehört haben und mich zu einer Podiumsdiskussion zum Thema ›Von der Freiwilligkeit, sich postpatriarchaler Gewalt auszusetzen‹ einladen. Ich habe keine Ahnung, was das heißen soll. So wie ich das sehe, ist die Gesellschaft von B ein einziges Chaos, ein gigantischer, stinkender, patriarchaler Misthaufen. Jedenfalls sagen sie gerne Post und meinen damit keine Briefe oder Pakete.
Es würde mich nicht wundern, wenn eine meiner ehemaligen Mitschülerinnen dahintersteckte, Sanne womöglich, oder Constantina, die waren geradezu besessen von meiner Geschichte und wollten mich immer für ihre politischen Aktionen instrumentalisieren, mich als Prototyp des neuen Mannes verkaufen. Ich mochte die beiden, weil ich eigentlich alle Mädchen mag, aber Rumena verdrehte stets die Augen und beschwor mich inständig, mich von Politik dieser Art fernzuhalten. »Die sind alle wie die Apos«, sagte sie. Ich solle lieber studieren, eine seriöse Karriere anstreben und so weiter. Sie erinnert mich täglich an meine Schulzeit, die ich, vor allem hier in der Großstadt, geliebt habe, an die Stadtbücherei, die immer ein Zufluchtsort für mich war, und an die Härte meines freiwilligen Sozialdienstes bei der Müllabfuhr, unter der ich doch recht gelitten habe, was jedoch weniger an der Arbeit lag als an den Kollegen.
Ich liebe Rumena und verdanke ihr viel, aber manchmal nervt sie mich auch. Mitunter wird sie mir, ehrlich gesagt, ein bisschen langweilig, ihre Einschätzungen werden immer vorhersehbarer für mich. Nicht, dass ich ihre Meinung nicht respektieren würde, sie hat sicher recht mit vielem, sie hat viel erlebt und ertragen, aber gerade deswegen will sie mich auch vor allem bewahren. Ihr Beschützerinstinkt will mich in die totale Passivität zwingen und wird immer extremer. Manchmal kommt mir vor, es wäre ihr das Liebste, ich würde nichts tun, gar nichts, kein Risiko eingehen – aber wie soll das gehen in dieser Welt, in dieser Stadt? Wie soll ich leben oder vorankommen, wenn ich stehenbleibe oder nichts tue? Natürlich weiß sie das, weiß, dass dieser Mutterinstinkt ein gut gemeinter, aber auch sinnloser, dummer ist.
Rumena ist nicht eine, sie ist mehrere Frauen. Eine will mir alle Freiheiten geben, eine andere will für mich denken und entscheiden, alles kontrollieren, wieder eine andere ignoriert mich plötzlich, ist in sich selbst gefangen und depressiv, sitzt tagelang in ihrem Haus und schweigt, trinkt und heult, will selbst beschützt und umsorgt werden. Sie ist ein bisschen wie meine Tante Regina – sie ist irgendwie beide Tanten in einer Person, und so leid sie mir manchmal tut, so faszinierend, ja interessant finde ich das auch. Manchmal nehme ich sie aus einer gewissen Entfernung wahr, geradezu objektiv, also eher kalt und gegenständlich.
Jetzt ruft sie an.
»Die Mädchen frieren, Adam.«
»Okay. Den schwarzen Kleiderschrank habt ihr schon verheizt?«
»Ja, aber du musst nichts übereilen. Morgen reicht auch. Ich will, dass du auf Nummer sicher gehst – keine unvernünftigen Heldentaten und nicht zu weit raus, hörst du?«
»Jaja. Ich kümmere mich darum. Ich treffe gleich die Veronika.«
»Was? Warum sagst du mir das nicht?«
»Aber ich sag es dir doch.«
»Wo trefft ihr euch? Brauchst du Geld? Bist du sauber? Du musst gut riechen, hörst du? Das ist ganz wichtig. Hast du sie angesprochen?«
»Ja, klar. Ich hab sie einfach gefragt. Und sie hat Ja gesagt.«
»Wie mich das freut, Adam! Ich bin so stolz auf dich. Sei einfach du selbst und … was weiß ich, du wirst das schon machen. Geh ihr nicht gleich an die Wäsche, hörst du?«
»Du spinnst. Wieso sollte ich das tun?«
»Mein Gott, wie naiv du bist, aber ich hab dich lieb. Und weißt du was? Ich treffe mich auch mit jemandem …«
»Doktor Valium?«
»Ja, wieso weißt du das?«
»Na ja. Du hast selbst gesagt, irgendwas wollen die Leute immer, vor allem die Männer.«
»Ja, aber er ist wirklich nett, zuvorkommend und vorsichtig.«
»Ich mag ihn auch.«
»Er erinnert mich an dich, Adam.«
»Bist du verliebt?«
»Nein«, sagt sie ganz trocken, dann lacht sie übertrieben, geradezu künstlich. »Das geht nicht mehr, dafür hab ich zu viel erlebt und gesehen. Aber das macht nichts. Ehrlich gesagt will ich das auch gar nicht, es würde mich nur verblenden und verblöden, also in Gefahr bringen. Nein, nein. Bist du es?«
»Bin ich was?«
»Na verliebt.«
»Nein. Weiß nicht. Vielleicht. Sie macht mich ruhig.«
»Hm, normalerweise ist Verliebtsein eher das Gegenteil. Bei dir ist das vielleicht anders … Sprich nicht zu viel von früher, das könnte sie verschrecken. Schau nach vorne. Und keine katholischen Litaneien, versprichst du mir das? Keine Mütter der göttlichen Gnade und so Zeug!«
»Ich bin ja nicht blöd.«
»Nein, aber manchmal verfällst du in diese Litaneien, ohne es zu wollen.«
»Ja, aber … ich mach das schon.«
»Ja, natürlich. Rufst du mich danach gleich an? Bitte.«
»Okay, mach ich. Bis dann.«
»Eins noch, Adam: Ich hab mich umgehört. Diese Posttraumadings –«
»Posttraumatistinnen.«
»Ja, ist doch egal. Halte dich fern von denen. Die haben schon etliche Männer entführt und verschleppt, womöglich umgebracht.«
»Blödsinn. Echt?«
»Ja. Erinnerst du dich an den … mein Gott, ich merke mir keine Namen … den Politiker, der vor einem Jahr verschwunden ist? Der ist nie wieder heimgekommen. Das waren die, heißt es!«
»Aha. Na gut. Ich muss jetzt los.«
»Bis dann, Adam. Ich hab dich lieb. Vergiss nicht zu zwinkern.«
»Jaja.«
Jetzt bin ich doch nervös. Was soll ich mit ihr reden? Soll ich ihr wirklich von mir und den Tanten erzählen? Vom Leben im Wald? Dass ich später in der kleinen Stadt von Huren erzogen wurde? Ich weiß nicht.
Vor zwei Jahren verblüffte der österreichische Komponist und Autor Bernhard Moshammer (Jg. 1968) mit einem „nach dem Kollaps“ spielenden archaischen Märchen. „Die Holzapfel Schwestern“ hatten sich ganz von der Zivilisation zurückgezogen und kümmerten sich in einer primitiven Waldhütte um ihren kleinen Neffen Adam. Nun ist „Der Holzapfeladam“ zurück und hat einen eigenen Roman bekommen. Er ist jetzt 23 Jahre alt und lebt in der Großstadt. In Zone A ist die öffentliche Ordnung wieder hergestellt. Doch sie ist abgeschottet und „den Reichen vorbehalten“. In Zone C herrscht pure Anarchie. Adam lebt in der Zone B. Hier herrscht Mangelwirtschaft, Verunsicherung und Improvisation. Und hier entfaltet sich die Geschichte um die Möglichkeit von Mitmenschlichkeit und Liebe inmitten von Chaos und Egoismus. Nicht leicht für Sanftheit und Empathie, sich hier zu bewähren …
Volksblatt, Mai 2024