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Buchreihen
€ 25.00
ISBN 978-3-903460-37-9
254 Seiten
gebunden mit SU und Leseband
Erscheint März 2025
Rauch
Sam Sapadi ist ein Kind seiner Zeit, ein junger Mann, den es von der Provinz in die Großstadt treibt. Ein gescheiterter Revolutionär, der sich in die Literatur flüchtet, sich als Speisekartenlektor, Literaturredakteur und schließlich als Werbetexter verdingt und am Ende alles verrät, was ihm dereinst als gut und richtig erschien.
Ein Mann versucht das Unmögliche. Er versucht mit dem Rauchen aufzuhören. Nicht einmal, sondern viele Male. Je öfter er scheitert, desto tiefer wird er hineingezogen in einen Strudel aus Abhängigkeit und Selbstbetrug. Er belügt sich, seine Mitwelt und seine Frau.
Sam Sapadis Geschichte vom Ausbruch aus der sozialen Enge der Provinz, vom berufl ichen Aufstieg und damit verbundenen neuen Zwängen und Abhängigkeiten ist auch eine subjektiv erlebte Entwicklungsgeschichte Österreichs ab den 1970er Jahren.
Peter Klein erzählt von Süchten. Die einzelnen Etappen dieser Karriere, die auch eine Geschichte des Rauchens ist, werden durch Zigarettenmarken defi niert. Der Held raucht sich hoch. Befreit fühlt sich Sam erst, als er aufhört, Widerstand zu leisten. Er kapituliert. Und aus den kleinen, schönen Feinden werden Freunde.
„Grandios gelungenes Debüt.“
Felix Mitterer
Seine erste letzte Zigarette rauchte Sam Sapadi im Juni vor sechsundzwanzig Jahren. Sie würde ihn nicht länger küssen, hatte Lucinda gesagt, wenn er weiterhin so stinke.
Sam zögerte nicht. Er spürte etwas Heldenhaftes in sich aufsteigen. Es war nötig zu zeigen, dass er Herr seiner selbst war. Dass er sich im Griff hatte. Morgen, sagte Sam, gib mir Zeit bis morgen. Morgen höre ich auf.
Lucinda war, obwohl sie nicht reiten konnte, Argentinierin. Ringo und er hatten sie und Samantha, eine kleine, drahtige Schottin mit kurzen Zöpfen, in Kufstein an der Grenze aufgegabelt. Sie hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, am frühen Abend Tramper einzusammeln. Sie kamen aus Deutschland, Dänemark oder Holland und wollten in den Süden. Die meisten waren froh über ein Abendessen und einen Platz im Matratzenlager. Manche blieben eine Nacht, andere eine Woche, Einzelne verbrachten den ganzen Sommer in Tiefenbach. Das Haus am Inn war jahrelang leer gestanden. Ringos Großeltern hatten es bald nach dem Krieg gebaut. Jetzt roch es nach Moder, und der Hang drückte Wasser in den Keller.
Der Garten war verwildert. Ringos Eltern, ein glückloser Fotograf und eine evangelische Heimleiterin, zahlten die Baumaterialien; renovieren müsse er es selbst. Ringo ließ sich das nicht zweimal sagen. Seine Schwester Edda, die in Heidelberg Sozialpädagogik studierte, brachte ihren Freund und dessen Freunde mit. Revolutionäre, die Rudi Dutschke kannten.
Oder zumindest jemanden kannten, der Rudi Dutschke kannte. Bruno, er war bereits siebenundzwanzig und versuchte auszusehen wie der junge Fidel Castro, hatte in Heidelberg eben sein Medizinstudium abgeschlossen. Er hatte gegen den Vietnamkrieg demonstriert und wollte Schönheitschirurg werden. Man müsse die Reichen dort treffen, wo’s wehtut, sagte er.
Mit dem Skalpell mitten ins Gesicht. Dafür sollten sie bluten und blechen, die Fettsäcke und ihr Aufputz. Nicaragua sei bloß ein Alibi, Kaffee ernten könne jeder. Sam, der damals noch Thomas hieß, gefiel das. Er wollte raus aus dem Schweinesystem.
Sam rauchte Dreier. Billig und unparfümiert. Zumindest während er arbeitete, rauchte er Dreier. Allein schon aus Solidarität mit der Arbeiterklasse. Wiewohl die Arbeiterklasse selbst die filterlose Ära auf dem Weg zum Kleinbürgertum bereits hinter sich gelassen hatte. Sams Vater und seine Kollegen rauchten mittlerweile Hobby oder Smart. Teurer, aber gesünder, sagte Sams Vater. Als ob er sich jemals um seine Gesundheit geschert hätte.
Die Dreier konnten herrlich sein, vorausgesetzt, sie waren einigermaßen frisch. Ausgetrocknet sprühten sie, wenn man sie anzündete, wie Weihnachtskerzen und schmeckten nach Stroh.
Die Schachteln waren flach, die Zigaretten elliptisch. Man konnte sie, wenn man sie bis auf den Stummel rauchte, mit Daumen und Zeigefinger wie mit einer Pinzette halten und anziehen, bis die Glut an den Fingerspitzen brannte.
Viele Jahre später, Sam lebte bereits in Wien, zündete er sich, als man in U-Bahnstationen noch rauchen durfte, in der U1-Station am Süditroler Platz eine Zigarette an, um das Eintreffen des Zugs zu beschleunigen. Das funktionierte immer. Als er mit dem Fingernagel gerade die Glut wegschnippte, um den Rest der Zigarette zu retten, legte sich eine schwere, behaarte Hand auf seine Schulter. Du auch Arbeiterklasse?, sagte ein offenbar vom Balkan stammender Mann mit Arbeitsschuhen und einem Malerkübel in der Hand. Sam hätte ihn umarmen mögen. Er schenkte dem Mann die halb volle Packung. Ich habe noch genug, sagte er, ich habe genug.
Abends, wenn beide Hände frei und sauber waren, wuzelte Sam sich seine Zigaretten. Zunächst aus Landtabak, später brachten die Heidelberger Drum mit nach Tiefenbach. Ein Tabak, der nach »holländischer Art« aufbereitet wurde, wie es hieß. Und Holland war immer gut. Wenn der Tabak austrocknete, legte man über Nacht ein, zwei Apfelspalten in die Packung oder mischte ein paar Tropfen Wasser bei. Cognac wäre besser, sagte Bruno.
Aber Cognac hatten sie nicht. Wenn Sam Beton mischte, auf dem Gerüst stand, um den groben Außenputz abzuschlagen, oder wenn er den Garten zu roden versuchte, mussten es Dreier sein. Austria 3 hieß die Marke offiziell. Irgendwann einmal nahm die Österreichische Tabakregie die Zigarette vom Markt. Billig allein reichte nicht mehr.
Sam sah sich gern mit einer Dreier im Mundwinkel. Das erinnerte ihn an die Fotos amerikanischer Bauarbeiter, die beim Bau von Wolkenkratzern in schwindelnden Höhen auf Stahlträgern sitzend eine Arbeitspause machten und sich eine Zigarette gönnten. In einem Kino in Graz hatte er einmal ein Plakat gesehen. Arbeiter in atemberaubender Höhe. Direkt daneben ein zweites Plakat. Humphrey Bogart ließ lässig eine Zigarette aus seinem Mundwinkel hängen. Niemand konnte rauchen wie er.
Sam hatte spät damit angefangen. Nicht mit fünfzehn oder sechzehn, sondern in den großen Ferien vor dem letzten Schuljahr. Er hatte in einer Kettenfabrik in der Obersteiermark im Zweischichtbetrieb gearbeitet. Sie stellten Schneeketten her. Auch Schiffsketten. Sam bediente eine der Maschinen, die die bereits zu einem Glied gebogenen, manchmal fingerdicken Ketten an der noch
offenen Stelle verschweißten. Seine Aufgabe bestand darin, darauf zu achten, dass die offenen, unverschweißten Stellen immer oben zu liegen kamen, bevor die Maschine die Kettenglieder ruckweise fraß. Die Maschine erledigte alles. Fast alles. Nur oben und unten konnte sie nicht unterscheiden. Seine Maschine stand an der Frontseite der riesigen Halle direkt unter der Uhr. Immer wieder bemühte er sich, mindestens fünf Minuten lang nicht auf die Uhr zu blicken. Es gelang selten. Es konnte Ewigkeiten dauern, bis der große Zeiger mit einem federnden Ruck in die nächste Minute sprang.
Beim Bier nach der Arbeit, wenn sie auf den Bus warteten, gehörte es dazu. Es war das Mindeste, was Sam tun konnte, um guten Willen zu beweisen. Als Kind hatte er sich geschworen, niemals, niemals eine Zigarette anzurühren. Wenn sein Vater, egal zu welcher Tageszeit, aufstand, hörte man aus dem Obergeschoß sein langes, trockenes Husten. Es dauerte eine gute Viertelstunde, bis der Schleim sich aus den Tiefen der Lunge löste und Vater sich mit einer Hand am Treppengeländer in Richtung Badezimmer zitterte. Immer noch in Unterhosen und Trägerleibchen kam er mit bleistiftdicken Adern am Hals und rotblau angelaufen grußlos in die Küche, nahm ein Bier aus dem Kühlschrank, trank es stehend in zwei, drei Zügen und rauchte, während er sich mit einer Hand am Kühlschrank abstützte, die erste Zigarette des Tages. Das nie, dachte Sam. Niemals wolle und werde er so enden.
Mit achtundfünfzig wurde Vater als Schicht- und Schwerarbeiter mit einem Warenkorb verabschiedet und in Rente geschickt. Wenige Jahre später war er tot. Die Lunge hatte nicht mehr mitge-macht.
Von dem Moment an, als Sam Lucinda versprochen hatte, ab dem nächsten Morgen nicht mehr stinken zu wollen, war jede Selbstverständlichkeit verflogen. Er sagte es niemandem. Er wollte, falls er es nicht schaffte, nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Es war sein erstes Mal. Sam hatte noch nie aufgehört zu rauchen. Es könne nicht so schwierig sein, dachte er, nachdem er ja erst seit drei oder vier Jahren rauchte. Er fühlte sich nicht süchtig. Sucht war kein Thema. Er rauchte bloß. Alle rauchten. Bis auf Ringo. Nachdem man einen Schatten auf seiner Lunge festgestellt hatte, war die Sache für ihn erledigt. Er verbrachte fast das ganze Sommersemester der siebten Klasse in einem Lungensanatorium. Davor hatte er filterlose Gitanes geraucht. Nicht viele, aber doch. Nach den vier Monaten im Sanatorium nutzte Ringo die Chance und kehrte nicht mehr in die Schule zurück.
In diesem Sommer war Ringo schon zwei Monate vor Sam nach Tiefenbach gekommen. Er hatte, während Sam sich auf seine Lehramtsprüfungen vorbereitete, den Präsenzdienst absolviert. Nicht den Zivildienst, den Präsenzdienst. Ringo war an praktischen Dingen interessiert. Auch Waffen, sagte er, seien Geräte, die man auseinandernehmen und wieder zusammenbauen könne. Wie Autos, Möbel oder Häuser. Mac, Soziologe, Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei und Roth-Händle-Raucher, der auf dem Weg nach Kreta gemeinsam mit Lilo mehrere Wochen in Tiefenbach verbrachte, war der Einzige, der Ringos Entscheidung guthieß. Bruno und er kannten sich seit ihrer Schulzeit. Es ginge nicht, meinte Mac, dass alle linken Wichser in den Zivildienst auswichen. Man könne das Militär nicht den Arschlöchern überlassen. Mac war pausbäckig und rotgesichtig. Er wirkte, als ob er dem Etikett einer Schweizer Kräuterschnapsmarke entstiegen wäre. Lilo, die ihre violett verspiegelte John-Lennon-Brille nur selten abnahm, schwieg. Sam wusste wenig über sie. Nur, dass sie aus einer Ärztefamilie
in Hannover stammte. Manchmal sah man sie gemeinsam mit Edda im Garten sitzen, sie sprachen lange und leise. Edda in einem lang wallenden, indisch anmutenden Gewand, Lilo in kurzen,
abgeschnittenen Jeans. Edda rauchte nicht. Sie habe es mit dem Magen, sagte sie. Sam verstand nicht, was Zigaretten mit dem Magen zu tun haben sollten. Lilo paffte. Manchmal wäre Sam gerne eine Frau gewesen.
Ringo zeigte sich von den endlosen Debatten genervt. Es gab nichts, was nicht auf seine gesellschaftliche und politische Relevanz hin überprüft werden musste. Ringo war aber in der Welt des Praktischen zu Hause. Er konnte alles. Er reparierte Autos, legte Leitungen, wusste, wie man ein Dach isolierte und welche Materialien man dazu brauchte.
Ringo hatte einen Körper wie eine Festung: bestenfalls mittelgroß, stämmig, ein kleiner, muskulöser Bauch. Sein Großvater, der Erbauer des Hauses, war Bahnhofsvorstand in Wörgl und ein nicht untalentierter Hobbymaler gewesen. Seine Landschaftsaquarelle überlebten alle Umbauarbeiten. Sie seien »authentisch«, sagte Lilo. Kunst aus sich selbst heraus und damit nicht dem kapitalistisch gesteuerten Kunstmarkt verpflichtet. Ringo hatte ein sicheres Gespür für die herablassende Aufmerksamkeit, mit der Brunos Freunde ihn und Sam behandelten. So müssen katholische Missionare Eingeborene gesehen haben. Gute Menschen an sich, unverfälschte, naturwüchsige Subjekte, formbares Material.
Wenn Ringo nicht arbeitete, nichts reparierte, nicht kochte oder gerade nicht Fußball spielte, trommelte er mit den Fingern auf die Tischplatte, schlug mit der flachen Hand Rhythmen auf die Oberschenkel oder schnippte mit den Fingern. Ringo hatte ein Schlagzeug im Keller stehen. Er hatte kein Interesse, in einer Band zu spielen, aber er liebte sein Schlagzeug. Das Schlagzeug hatte ihm auch früh seinen Spitznamen eingebracht. Wiewohl er mit Ringo Starr gar nicht so viel am Hut hatte. Wenn schon, dann Ginger Baker, sagte Ringo, er verehrte den Schlagzeuger der Cream.
Manchmal, wenn oben in der Küche zum wiederholten Mal das
Privateigentum abgeschafft, die Monogamie als reaktionär verurteilt und Eifersucht als »psycho-emotionales Korrelat des kapitalistischen Eigentumsdenkens« erkannt wurde, hörte man, gleichsam als Gegenstimme, Ringo im Keller Schlagzeug spielen. Ringo hielt Intellektuelle für Schwätzer. Und er kommentierte das Geschwätz auf seine Weise. Später holte er eine Tischlerlehre nach, machte die Meisterprüfung, baute Wohnungen um und renovierte Häuser.
Unlängst ging eine Meldung durch die Medien: Die Anzahl der Raucher, so verkündete die WHO, habe in den letzten zwanzig Jahren um ein Drittel abgenommen. Mit dem Erfolg, so ließ man uns wissen, dass Millionen Menschen vor Krankheit und Tod gerettet werden konnten.
Doch wie hoch ist der Preis für Gesundheit und Wohlergehen und wie erstrebenswert ist es wirklich, dafür seine geliebte Sucht zu opfern? Fragen wie diese umkreist Peter Klein launig und zugleich hintersinnig. Sein Roman mit dem Titel „Rauch“ ist die Geschichte von einem, der auszog, dem Nikotin abzuschwören - vergeblich und dennoch mit Gewinn: Angesichts seines regelmäßigen Scheiterns lernt er sich immer besser kennen.
In siebzehn Stationen und mit ebenso vielen Tabakmarken durchs Leben: Das könnte das Motto des Bandes sein, der sich als leichtfüßiger Entwicklungsroman entpuppt. Er durchmisst die vergangenen sechs Jahrzehnte und zeigt, wie der etwas naive Held Sam Sapadi unter die Räder der Zeitgeschichte und persönlicher Krisen gerät, sich immer wieder aufrappelt und schließlich zu sich und seinem innersten Wesen findet. Er legt dabei eine weite Strecke zurück: vom jungen Revolutionär zum Werbeprofi, von den billigen Zigaretten zu den teuren, von Zigarillos und Joints zu Nicorette und Nicotinell aus der Apotheke und zurück. Die Selbsterfahrung eines Rauchers also, wie sie Peter Klein doppelbödig zu schildern weiß.
Sam, wie sich die Hauptfigur nennt, ist bei Geburt ein Thomas. Doch dieser Name entspricht nicht dem Image, an dem er schon früh bastelt: Als Sam möchte er hoch hinaus und weg aus der Enge der steirischen Provinz, wo seine Eltern auf harte Arbeit und Sparsamkeit setzen.
Geld ist knapp, also jobbt der Sohn bereits als Schüler in einer Fabrik: der Beginn seiner Laufbahn als Raucher. Das Bier und die Zigarette nach der Schicht abzulehnen? Undenkbar. Sam will dazugehören. Schlimm genug, dass er sich zuhause in seinen Büchern vergräbt, was Vater und Mutter mit Kopfschütteln quittieren. Zumindest belohnt er die Geduld der beiden mit einem Abschluss als Volksschullehrer. Doch als Sam kundtut, sich nicht gleich als Beamter in eine Fixanstellung fügen zu wollen und stattdessen Germanistik zu studieren, ist die elterliche Bestürzung groß. Sam aber geht seinen Weg – und das Qualmen begleitet ihn dabei treu. Mehrmals denkt er an ein mögliches Ende seiner Sucht, doch das Vorhaben
bleibt vage.
Peter Klein verschränkt die Erkenntnisse seines Protagonisten mit dessen Karriere als passionierter Raucher. Mit jeder Entwicklungsphase wechselt Sam die Zigarettenmarke, die so zum Spiegel seines sozialen Umfelds und Aufstiegs wird. Bewusst ist das dem Helden aber nicht, denn bei den Wendepunkten seiner Biographie führt meist der Zufall Regie. Er dissertiert über Rilke und springt von der kritischen Auseinandersetzung mit den Duineser Elegien hinein in profanere sprachliche Gefilde: Er lektoriert die Speisekarte eines Hauben-Restaurants, wird Redakteur bei der Arbeiter-Zeitung und landet schließlich in einer Werbeagentur, wo er zum Kreativdirektor aufsteigt, der sich Weltanschauung und Rückgrat nur mehr bedingt leisten kann.
Aus den Ambivalenzen und Widersprüchen der Figur bezieht der Roman Spannung und Witz. Peter Klein beschreibt diesen Sam mit Nonchalance und hintergründigem Humor. Er zeichnet eine Persönlichkeit, die oft nicht weiß, wie ihr geschieht, und die wie der tumbe Tor aus dem mittelalterlichen Stationendrama durch die Jahre taumelt. Wer auf so schwachen Beinen unterwegs ist, muss sich an etwas festhalten. Die Zigarette bietet sich an.
Sams Tage sind wohlbedacht strukturiert: Die erste, besonders wunderbare Zigarette gönnt er sich zum Frühstückskaffee, die zweite danach, die dritte noch bevor er ins Büro kommt, und die vierte, wenn er seinen Laptop startet und loslegt. Ein bis tief in die Nacht hinein durchgetakteter Ablauf, mit regelmäßigen Besuchen beim Trafikanten seines Vertrauens: Ohne Nikotin, so spürt er, verliert er seinen Halt und damit jene Identität, die er mühsam aufgebaut hat. „Man aß, trank und atmete, um Mensch zu bleiben“, heißt es über den Helden. „Sam rauchte, um Sam Sapadi zu sein. Er wollte das Gebäude stützen, das er sich errichtet hatte. Denn ohne Stützen hielt es nicht.“ Es sind Stützen mit klingenden Namen, die Sam und sein Ich tragen: Memphis, Smart und HB, Stuyvesant, Camel und Marlboro rot. In den diversen Marken stecken Ideologien, Erfahrungen oder ganz einfach Etappen seiner Biographie.
Je älter die Hauptfigur wird, umso plastischer erscheint sie uns vor Augen: mittelgroß, schlank, grau-melierte Locken, zarte Hände. Ein feinnerviger Raucher. Ebenso elegant präsentiert sich Peter Kleins Roman. Die siebzehn Kapitel greifen ähnlich lässig ineinander wie die wechselnden Zeitebenen. Die Sprache läuft rhythmisch rund dahin, der Erzählfluss kommt kaum je ins Stocken. Die Handlung mündet im Glück einer Liebe, die Sams bisheriges Denken und Fühlen auf den Kopf stellt. Würde er es diesmal fertigbringen, die Zigaretten als „kleine, wie Soldaten aufgereihte Feinde zu sehen, die nur darauf warteten, ihn zu demütigen und zu quälen“?
Peter Klein hat einen Roman geschaffen, der sich weit über die Beschreibung einer Sucht und so schnöder Laster wie Lüge, Selbstbetrug und Verrat hinausbewegt. Sam hat Fernando Pessoa und dessen Spiel mit den Identitäten vor Augen, wenn er sich fragt, wie gut er die Rollen ausfüllt, in denen er sich eingerichtet hat. Diverse Möglichkeiten bieten sich an: Er könnte auf ewig ein Raucher sein, ein früherer Raucher oder ein Raucher, der nicht raucht? Wer vermag schon zu sagen, was tatsächlich zu ihm passt?
Sams Leben – und damit auch unseres - war wie der Rauch, so lesen wir, „eine Choreographie der Flüchtigkeit, die immer gleich und doch immer anders war. Allein das Meer und die Wolken am Himmel konnten ein vergleichbares Schauspiel bieten.“
ORF, Ö1, Ex Libris, Susanne Schaber