€ 25.00
ISBN 978-3-903460-45-4
ca. 220 Seiten
gebunden mit Leseband
Erscheint September 2025
Dschungelfieber
Eine gut gelaunte Zeitreise in die Neunzigerjahre ohne Sperrstunden, Rauchverbot und neue Nüchternheit. Im Rhythmus der Nacht erzählt, durchleben die Partyhelden alle Phasen einer gelungenen Ausschweifung: Vorfreude, Euphorie, Höhepunkt, Absturz und Kater.
Wien in den Neunzigern. Aus dem Hörsaal heraus gründen die beiden Studenten Smash und Mao einen Tanzclub. „Für Jungsoziologen ist es eigentlich Pfl icht, einen Club zu gründen“, so Mao. Mit trockener Theorie soll jetzt mal Schluss sein, die lebendige Praxis ruft! Beider Ziel ist es, das lahme Nachtleben in Wien zu revolutionieren.
Sex, Gras und Drum & Bass auf Wienerisch.
Die zwei Jungmänner holen noch ein paar lebenshungrige Freunde an Bord. Kaum haben alle ihre künftigen DJ-Namen gefunden, geht es auch schon los mit der Planung und Locationsichtung.
Was klein beginnt, wird immer größer, bald strömen mehr Tanzwütige herbei, als man sich erträumt hatte. Smash und Mao merken aber auch bald, dass Eventorganisationen einiges an Verantwortung in sich bergen und selbst so etwas Schönes wie ekstatisches Feiern, wenn es zu Arbeit wird, seinen Reiz verliert.
Eine Zeitreise in das Jahrzehnt des Dauerfeierns. Und: eine Wiener Nachtgeschichte. Eine Huldigung der Nacht, des Feierns und der Verschwendung.
»Lass uns einen Club gründen. Die Clubkultur in Wien ist so was von hinig und tot. Wir gehen dauernd aus, aber meistens ist es langweilig. Irgendwas fehlt. Dieser Wiener Kaffeehaussound ist zum Einschlafen. Und die ganzen Techno-Deppen, die herumzappeln und MDMA fressen, nur um die Musik überhaupt zu ertragen. Smash, Wien fehlt ein guter Club«, schlug Mao seinem Studienfreund vor, mit dem er auch beim Radiosender FM4 arbeitete. »Wann, wenn nicht jetzt?«
Maos Träumereien besaßen keinerlei Schnittmenge mit der Wirklichkeit. Er war aufgekratzt. »Keiner von uns kann auflegen, wir sind keine DJs«, schwächte Smash die neueste Kopfgeburt Maos ab. »Wir haben kein Geld und kennen keine Clubbesitzer.«
»Sei nicht so negativ. Wer eine Party will, muss sie selbst machen. Es ist völlig egal, ob wir auflegen können. Niemand kann das in Wien. Wir gründen direkt aus dem Vorlesungssaal heraus ein Soundsystem. So wie Bill Gates in seiner Garage Microsoft gegründet hat. Und wir spielen frische Musik. Keinen Techno, keinen lahmen Downbeat, keinen Trip-Hop, nur Breakbeats. Jungle und Drum & Bass, was wir eben auch im Radio abfeiern. Das wird ein Selbstläufer.«
»Ist dir Schlaumeier schon aufgefallen, dass wir nicht mal auf unserem Sender eine eigene Sendung bekommen? Wir dürfen nur bei der Nachwuchsschiene für fünfzehn Minuten ran – und das erst um 1 Uhr in der Früh. Da schlafen die Leute oder feiern, aber um diese Zeit hört niemand Radio. Unser Vorschlag für eine eigene Show ist mehrfach abgelehnt worden, weil unser Boss kein kommerzielles Potenzial sieht. Du denkst viel zu nischig. Sogar für unseren Spartensender. Die breite Masse mag lieber Gitarrenmusik und Techno, sagt Mischa.«
»Umso besser. Wenn noch keiner unsere Musik kennt, sind wir Pioniere. Vorreiter. Revolutionäre. Verstehst du? Wir siedeln London in Wien an und schreiben Geschichte. Wir sind jung und wissen, was die Jugend denkt. Die Entscheidungsträger in unserem Sender sind alle uralt, 35 oder 38 Jahre, so genau weiß ich das nicht. Und weil die hochbetagt sind, begreifen die nichts mehr. Die sind aus einer anderen Ära. Unsere Bosse warten doch nur auf ihre Pension, geistig sind sie längst dort, heimlich hören die bestimmt alle Bob Dylan. Wir aber nicht. Ich hasse diesen Langweiler. Lass uns bitte ein fettes Soundsystem gründen.«
Maos Spinnereien beeindruckten Smash nicht. Die beiden Freunde arbeiteten seit einem Jahr beim besten Jugendradio Österreichs. Kurz vorher hatte der besonnene Smash seinen zappeligen Freund bei einer Vorlesung kennengelernt. Seitdem waren die zwei ein unzertrennliches Gespann. Gemeinsam lernten sie. Gemeinsam feierten sie. Gemeinsam hatten sie sich auf gut Glück beim Radio beworben. Die Bosse fanden sie schräg und engagierten sie als Redakteure bei Österreichs führendem Radio für alternative Musik, FM4.
»Feste Freie« war die exakte Bezeichnung ihres Arbeitsverhältnisses. Als Reporter verdienten sie für Dreiundzwanzigjährige auch bei durchschnittlichem Fleiß überdurchschnittlich viel. Für einen dreiminütigen Beitrag kassierten sie satte tausend Schilling. Obwohl sie faul waren, schafften sie im Monat locker acht Beiträge. Radioarbeit war der perfekte Studentenjob. Keiner im Sender begann vor halb zwölf zu arbeiten. Neben dem Lernen und dem Journalistenleben fehlte aber laut Mao noch immer ein alles entscheidender Puzzlestein zum perfekten Leben: eine eigene Partyreihe. Allein traute er sich nicht, weshalb er seinen bodenständigeren Freund anbettelte und von seiner neuesten Idee vorschwärmte. Sein Kumpel war besser im Vernetzen und Organisieren. Eine eigene Clubnacht würde ihr Leben krönen. Noch war ihr Leben nicht gänzlich perfekt. Bei den Vorlesungen langweilten sich die Freunde regelmäßig. Ihre Professoren lehrten mit Vorliebe veraltete sozialwissenschaftliche Theorien aus den 1970er-Jahren. Die vom Weltenlauf längst widerlegte Irrlehre des sozialen Interaktionismus ertrugen die zwei Soziologiestudenten nur mit Tagträumereien.
Im stickigen Hörsaal 33 der Hauptuniversität war es heiß wie um drei Uhr morgens am Tanzflur. Diese Hitze verunmöglichte strukturiertes Denken und der Vortragende sprach viel zu leise. Smash tropfte der Schweiß von der Stirn und er trank einen Zug aus seiner Wasserflasche. Die Sonne brannte direkt durch das Dachfenster, es war wärmer als im Schönbrunner Palmenhaus. Smash war von der Hitze, den Spinnereien Maos und den Thesen des Vortragenden gleichermaßen genervt. »Ich verstehe den Sinn des symbolischen Interaktionismus einfach nicht. Was soll das heißen, die Informationen des Gesprächspartners sind richtig zu interpretieren?«
»Das heißt, du solltest meiner Idee eine Chance geben und nicht alles gleich von vornherein abwürgen.«
Der Frühsommer 1996 hatte mehr zu bieten als veraltete soziologische Theorien, die ihre Lebenswelt nicht mehr richtig erklären konnten. Als George Herbert Mead seine Thesen entwickelt hatte, gab es weder Clubs noch die Ravekultur. Clubbings waren ohne Zweifel die wichtigste Erfindung ihrer Generation! Die Schockwellen dieser Jugendkultur waren nur vergleichbar mit der Erfindung der elektrischen Gitarre im Jahr 1932, klugscheißerte Mao. In England tanzten bereits Hunderttausende zu Breakbeats. Das müsste auch im verschlafenen Wien möglich sein.
Sie hatten einen Auftrag zu erfüllen. »Du musst positiv denken, Smash. Du denkst noch immer wie ein Oberösterreicher, rein vom Habitus her, wie das unser Professor Riedmann hochgestochen nennt. Was soll groß passieren? Wir gehen jetzt schon viermal pro Woche aus. Und was verleiht einem Musikjournalisten mehr Glaubwürdigkeit als ein eigener Club? Das wird auch unser Standing beim Sender heben. Verdienen müssen wir nichts. Wir können gratis trinken, kiffen und zu der Musik tanzen, die uns gefällt. Wenn was schiefgeht, studieren wir wieder weiter. Der Schwachkopf da vorne liest seinen Unsinn sicher auch noch in Jahren aus seinem Skript unverändert vor, das schwör’ ich dir.«
Mao referierte über seinen Sehnsuchtsort und langsam verfestigte sich auch bei Smash ein Bild: große Bassboxen, wenig Beleuchtung, eine dunkle Tanzfläche, höchstens ein Stroboskoplicht, eine lange Bar mit leistbarem Bier und Wodka, dazu Joints und tanzende Mädchen – fertig war der Clubhimmel. Seriöse Clubs waren in Wien tatsächlich Mangelware, grübelte Smash. Hatte sein Tausendsassafreund eine Marktlücke entdeckt? Als Musikjournalisten gingen sie in Erfüllung ihrer berufsständischen Pflichten oft aus und kannten den traurigen Istzustand zur Genüge. Was sie bislang erlebt hatten, war höflich formuliert ausbaufähig. Der vorherrschende Gemütszustand war Langeweile. Die Bundeshauptstadt befand sich in einem immerwährenden Dämmerzustand. Die Wiener gingen mehr aus Pflicht und Gewohnheit denn aus innerer Begeisterung aus. War man auf einer Party, wartete man vergeblich auf Höhepunkte. Rumstehen und Bierholen waren Standard, gelegentliches Mädchen-Anquatschen und -Kennenlernen rare, viel zu seltene Höhepunkte. Die Wiener Partygeher verwechselten Langeweile mit Coolness. Dabei waren Tanzen, Kiffen und Saufen viel schöner. Nur wusste das hier noch niemand. Die Zeit war gekommen, ihre Stadt wach zu küssen. Ein Zeitfenster öffnete sich.
Party-Roman
Sommer 1996 in Wien. Mao ist gelangweilt. Punk, Indie und überhaupt die ganze Gitarrenmusik ist für den Soziologiestudenten und freien Mitarbeiter bei FM 4 durch. Techno mit all seinen Begleiterscheinungen auch – zu viel Kommerzialisierung, zu viel Ecstasy.
Mit dem neuen Genre Drum & Bass soll es in der Nacht wieder spannend werden. Gemeinsam mit seinem Freund Smash und anderen gründet Mao eine Party-Schiene, um das lahme Wiener Nachtleben aufzumischen.
Das ist der Rahmen vom Roman „Dschungelfieber“ von Christian Moser-Sollmann. Durch ihn weht ein Hauch von Neunziger-Nostalgie. Ein Jahrzehnt so locker, flockig wie das Buch. Doch es ist auch lehrreich. Ein Leben als professioneller Nachtmensch ist nicht immer lustig.
Wer nicht dabei war, lernt noch vom Anhang. Hier gibt es einen „Lektüreschlüssel zum Clubkultur-Idiom der Neunziger“ und eine Liste von „15 Jungle und Drum & Bass-Platten für die Ewigkeit“.
Kurier, Oktober 2025