232 Seiten, Hardcover

€ 19.90

ISBN 978-3-85286-225-5

Als E-Book in allen einschlägigen Stores erhältlich.

Paul Lukas

Vinyl

Roman

Berlin, 1999. Wütend und zärtlich, poetisch-melancholisch und dabei hoch unterhaltsam erzählt »Vinyl« die Geschichte eines Musikers, den das Schicksal in jungen Jahren einer Hand beraubt.

Den Frust über sein verpfuschtes Leben, seinen Job als Manager einer drittklassigen Schallplattenfirma mit Alkohol und schnellen Drogen bekämpfend, streift er nachts durch die sich verändernde Stadt, erinnert sich an seine große Liebe, die auf alle Konventionen pfeifende, ihn über seine Grenzen hinaus fordernde Nadja, und an seine frühere Band, die „Sonntagsmörder“, an Höhen und Tiefen, die Fallen und süßen Verlockungen des Pop-Geschäfts. An Punk und New Wave, Aufruhr und Widerstand, das Westberliner Inselleben, an Mauerfall und Einheitsbrei und den schlimmen Kater danach.
Ein Buch wie ein heftiger Rocksong.

"VINYL" ist zweite Roman des Mitbegründers von »Element of Crime«, Paul Lukas.

Unseren ersten gemeinsamen Auftritt hatten wir drei Tage später auf einem Schulfest in Spandau. Ich hatte mir das Programm der Band, das die Jungs im Vorjahr auf eigene Kosten auf Vinyl gepresst und unter dem Titel 24 Beinharte Trauermärsche im Selbstverlag unter die wenigen geneigten Leute gebracht hatten, noch einmal in Ruhe angehört, dann mussten zwei weitere Proben genügen. Vierhundert überwiegend weibliche Schreihälse in der prall gefüllten Aula, in der es brodelte und dampfte wie im Heizraum eines antiken Ozeanriesen, bejubelten die abgenudelten Rocksongs, die ihnen ein gnadenlos rückständiger DJ servierte, tanzten und feierten entschlossen sich selbst, und Mo entschied nach einer kurzen nervösen Bandkonferenz, einige Gassenhauer ins Programm aufzunehmen, um das Publikum nicht zu überfordern und einer Revolte vorzubeugen.
Es kam, wie es kommen musste. Dass Fredy irgendwas in den falschen Hals gekriegt hatte und mit dem Gitarrenriff von »Hey Joe« prahlte, während der Rest der Band versuchte, Patti Smith mit einer entspannt rumpelnden Version von »Gloria« in den Schatten zu stellen, nahmen die berauschten Teenager noch anstandslos hin. Led Zeppelins »Gallows Pole« aber, der Griff in die Trickkiste, auf den Mo ganz be-sonders stolz war, brach nach einer sich zirka sieben Minuten hinziehenden Suche nach einer gemeinsamen Akkordbilanz in sich zusammen, wir hatten uns verhoben und die Trümmer des Arrangements versandeten in einer traurig atonalen Saxofoneinlage, die einen Stromausfall und einen Hagel Bierdosen zur Folge hatte. Mo rannte von der Bühne und suchte in der Dunkelheit nach dem Organisator, um ihm wegen Sabotage an den Hals zu gehen, Drummer Mark und Ole am Saxofon bemühten sich, mit peinlichstem Pseudojazzgedudel die Pause zu überbrücken, und ich packte den Bass ein, um mich in den Bandbus zu verziehen. Auf dem Schulhof aber wurde ich von einem blonden jungen Mann (Typ Tom Tänzer, wie ich heute sagen würde) in einem blütenweißen Seidenhemd und einer aschgrauen Bundfaltenhose aufgehalten. »Hallo«, sagte er, »ich bin Sven Meier von der Multiphon.« Er reichte mir eine Visitenkarte. »Würde mich freuen, wenn ihr die Tage mal anrufen würdet.« Sprach’s, ging und ließ mich verdattert in einer femininen Duftwolke zurück.
In der Aula knallte und zischte es, dann kündeten über den Asphalt huschende bunte Lichter und der mit einem gequälten Jaulen zur Originalgeschwindigkeit zurückfindende Plattenspieler davon, dass die Energiezufuhr wieder in Gang gesetzt worden war und von dem geladenen Live-Act, wie nicht anders zu erwarten, kein Mensch mehr wissen wollte. Zerzaust und verbittert drängelte sich Mo durch eine Gruppe vor der Tür rauchender Jugendlicher, dann folgte der Rest der Band, erregt diskutierend, wir bestiegen den Bus, ich beschloss, die Neuigkeit zunächst für mich zu behalten, das kleinlaute Schweigen der Rückfahrt zu genießen, besinnlich und milde nach einem Abend der mich ratlos zurücklassenden, das Kleinhirn zerrüttenden Klangerlebnisse.
Kurz vor dem Nollendorfplatz meldete sich Mo aus dem Dunkel der hinteren Sitzplätze und schlug vor, im Café Swing zwei, drei Biere zu nehmen. Eine weise Idee, ist man bemüht, eine von Zweifeln geplagte und vom Auseinanderbrechen bedrohte Kapelle aufs Neue und feste zusammenzuschweißen. Wir betraten das Lokal, in dem uns eine gelassene Archie-Shepp-Nummer entgegenblies, die üblichen Gestalten bei Bier und Tequila jedem Naiven, der ein Ohr für sie hatte, euphorisch ihre hochfahrenden, zu fünfundneunzig Prozent niemals zur Aufführung gelangenden künstlerischen Pläne erläuterten, und Else, die geduldige Wirtin und Hüterin dieses verlorenen Haufens, die Gesichter meiner Kollegen mit einer Runde aufs Haus zu entknautschen versuchte.
Ich erzählte es Mo schließlich auf dem Klo. Mit der selbstzufriedenen Lässigkeit eines Großgrundbesitzers, der störende Steinchen von seinem gepflegten Rasen kickt, schüttelte er sein Schwänzchen ab. »Scheißindustrie«, knurrte er. »Vergiss es.«

Paul Lukas erzählt ungekünstelt und konzentriert, findet treffsichere Formulierungen gerade dann, wenn die Gefühle am diffusesten sind ...
Christine Heise, tip Berlin

Witzig und flott erzählt und hat ein hohes Tempo!
Florian Schmid, inforadio rbb

Paul Lukas macht deutlich, wie gefährlich Pop als Lebensstrategie sein kann: Wer immer sich in seinem Text in der Musik verliert, hat eigentlich schon verloren.
Christian Stiegler, fm4

Schonungslos offen und leidenschaftlich lässt Lukas seinen Antihelden als Ich-Erzähler über sein rasant-bewegtes Leben mit allen Höhen und Tiefen reflektieren, mal zynisch-schnoddrig und wie atemlos, mal mit zarten, fast lyrischen Tönen.
Dagmar Härter, ekz

Böse, besserwisserisch, frustriert aber auch romantisch und idealistisch - »Vinyl« ist immer unterhaltsam
Detlef Kinsler, Frankfurter Journal

Der Erzähler drängt uns durch die Berliner Subkultur der fiebrigen Achtziger in die glatte Smartness der 90er. Die verzweifelte Zärtlichkeit, mit der er seine irre Liebe nicht retten kann, entspricht der amüsant gereizten Ratlosigkeit vor dem Karriereplan der Mitmusiker und industriellen Bandflüsterer – aber wenn man den Kampf gegen die Windmühlen verloren hat, kann man am Ende wenigstens ihre Brise mitnehmen.
Markus Schneider, Berliner Zeitung

Rezensionen

2012-11-18 - fm4
Haus der Lüge
Christian Stiegler über Paul Lukas "Vinyl"
http://fm4.orf.at/stories/1707730/

Top