160 Seiten, gebunden, Fadenheftung, Leseband

€ 19.00

ISBN 978-3-903184-50-3

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El Awadalla

ZU VIELE PUTZFRAUEN

„Bluttat in Ottakring – war es Raubmord?“ Da es im Mietshaus keinen Gärtner gibt, kann es nur die serbische Putzfrau gewesen sein. Monatelang wird ermittelt, die Polizei macht viele Fehler. Der erste Krimi von El Awadalla, eine pralle Milieustudie Wiens mit viel Herz, Humor und Dialekt.

El Awadallas Krimi kommt gleich zur Sache. In einem Wiener Mietshaus wird eine alte Frau ermordet aufgefunden. Ihr neugieriger Nachbar, Herr Gruber, hat an seiner Haustür überall Spiegel angebracht, sodass er die Geschehnisse im Haus immer minutiös mitverfolgen kann. Schnell glaubt er Bescheid zu wissen: Es war sicher die serbische Putzfrau!
Die Polizei nimmt die Spur ernst, sogleich werden Dragica und einige weitere Verdächtige in Augenschein genommen; es wohnen aber so viele zwielichtige Figuren im Haus – auch Künstlerinnen! –, dass sich die Ermittlungen aufgrund vieler Vorurteile immer wieder im Kreise drehen. Gut, dass Nachbarschaft und einige Bekannte von Dragica der Polizei auf die Finger schauen, sonst sitzt am Ende noch die Falsche ein.

El Awadallas Debütkrimi erzählt schnörkellos und dicht vom tiefen Wien. Brillant die deftig-authentischen Gespräche der ermittelnden Polizisten; die Mundartexpertin trifft hier in die Seele des grantigen Wiens.

Ingrid fällt aus dem Lift. Sie bleibt auf dem Boden liegen und schaut zu, wie Münzen aus ihrer Tasche herauskullern. Ewig könnte sie so liegen bleiben, doch etwas stimmt nicht. Ein Männerschuh steht plötzlich ganz knapp vor ihren Augen. Von sehr weit oben über dem Schuh hört sie eine Stimme sagen: »No Gnädigste, hamma a Räuscherl?«
Dann wird sie unter den Armen gepackt und auf die Füße gestellt. Als sie sich gleich wieder niederlegen will, also eher zu fallen droht, spürt sie feste Griffe an beiden Schultern. Vor ihr steht ein Gesicht unter dem Ganglicht, über dem Gesicht eine Polizeikappe. Ihr in Rotwein eingeweichtes Hirn versucht sich zu einem, wenigstens einemklaren Gedanken zu versammeln.
Was ist hier los? Wo bin ich?
Sie sieht das lächerliche Blumenkranzerl an der Tür ihrer Nachbarin, gut, sie ist also daheim, aber was will der Polizist von ihr?
»Na wo samma denn gwesn?«, hört sie die Stimme fragen; gute Frage, an das letzte Lokal kann sie sich nur noch verschwommen erinnern; zuerst ist sie bei einer Lesung der Krimifrauen im Au gewesen, dann mit einer von ihnen und einer Bekannten im Café Weidinger und dann noch im Tschocherl bei einem Poetry-Slam.
Die Polizisten wollen wissen, was ein Poetry-Slam ist.
Das kann sie heute nicht mehr erklären –
Und dann? Irgendwo war sie dann noch, mit wem?
Irgendwo dort in der Gegend halt, sie will sich einfach niederlegen, ob in ihr Bett oder auf den Boden, ist ihr momentan herzlich egal; der zweite Mann hält sie noch immer; anscheinend gibt’s noch mindestens einen dritten Mann, schließt sie aus den Stimmen, die sie hört.
Irgendwie gelingt es den Polizisten, zu ihrem Wohnungsschlüssel zu kommen, die Tür wird aufgesperrt, sie hineinbugsiert, auf die Couch platziert und am Einschlafen gehindert, zwei Polizisten in Uniform und ein Ziviler stehen um sie herum, einer will ihr Wasser einflößen, sie beißt die Zähne zusammen.
Was? Was?
Mehr kann sie jetzt nicht sagen.
Die Frau, die unter ihr wohnt, ist ermordet worden, heute am Nachmittag, wo sie gewesen sei zu dieser Zeit?
Sie will sich auf die Couch legen, ein Uniformierter setzt sie wieder auf, sie tritt ihn, er schimpft und droht mit einer Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, aber Ingrid ist das im Moment auch egal. Es geht noch ein Weilchen hin und her.
»Frau Haselsteiner«, sagt der Zivile zum Abschied – »ich heiße Haselberger …«, sagt sie –, »wir kommen wieder.« Dann gehen die drei.
Mordverdacht, klingt es in ihren Ohren. Mordverdacht?
»Sie sind verdächtig«, haben die Polizisten gesagt.


Es ist schon hell, als Ingrid die Türglocke hört, ihr Kopf dröhnt, ein ausgewachsener Kater hält sie gefangen, rumort in Kopf und Magen – die Türglocke, nein, ich stehe nicht auf, nein, es läutet, es pumpert, sie steht doch von der Couch auf, wankt zur Tür. Polizei.
»No, Gnädigste, samma ausgschlafen?«
Fragt einer der Polizisten. Ist es der, der in der Nacht auch schon da war? Ingrid kann sich an nichts Genaues erinnern, sie will die Polizei nicht in die Wohnung lassen.
»Ihre Nachbarin ist ermordet worden«, sagt der Zivile, der gerade die Stiege heraufkommt, »die Frau Auinger.«
Was? Wann? Wieso? Nein, sie lässt die Polizei nicht herein.
»Dann sind Sie mordverdächtig und müssen mitkommen.«
Wieder der Zivile, er stellt sich vor, »Kowarik«.
Sie besteht darauf, zuerst zu duschen und sich etwas Frisches anzuziehen; das darf sie unter der Bedingung, dass der Uniformierte vor der Badezimmertür Wache hält.
Ingrid gefällt ihr Spiegelbild gar nicht. Heute ist Aschermittwoch, denkt sie, reiner Zufall.


Dragica macht ihre Kinder für die Schule und den Kindergarten fertig, sie zieht der Kleinen gerade die Schuhe an, als es vor ihrer Tür laut wird.
»Aufmachen, Polizei!«
Pumpern und Läuten, sie macht mit der Kleinen auf dem Arm die Tür auf und schaut in einige Gewehrläufe und maskierte Gesichter; die Maskierten stürmen an ihr vorbei in die Wohnung, einer fragt: »San Se de Jowanowitsch Dragica?«
Sie ist erschrocken, zittert, kann nicht antworten, die Kleine brüllt, aus dem Wohnzimmer hört sie auch die beiden anderen Kinder schreien.
»Ich muss die Kinder bringen«, sagt sie.
»Des geht net!«, brüllt eine Maske sie an, die drei Kinder schreien immer lauter.
Dragica muss sich am Türstock anhalten. Polizisten in Zivil kommen in die kleine Wohnung, sie reißen die Kastentüren auf, einer durchwühlt den Mistkübel unter der Abwasch.
»Bitte, die Kinder, bitte, sie müssen in die Schule und in den Kindergarten.«
»Is eh besser, waun s’ weg san«, sagt einer der Kieberer.
Dragica hat das Gefühl, mindestens zwanzig Männer rennen und schreien in ihrer Wohnung.
»Nana, se bleim do«, sagt der Polizist und räumt die Schultaschen der Kinder aus.
Schließlich dürfen sie doch in die Schule gehen. Die beiden Großen müssen die Kleine in den Kindergarten bringen, der ist gleich ums Eck von der Schule, also kein großer Umweg.
Dragica darf nicht hinaus, sie muss sich in der Küche auf eines der zwei Stockerl setzen, das andere nimmt sich einer der zwei zivilen Kieberer.
»Und«, fragt er, »woastas?«
Dragica hat keine Ahnung, was der von ihr will. Was?
»Gib’s zua, du host de Oide umbrocht!«
Was, wer sei umgebracht worden?, fragt sie.
»Dua ned so«, schreit der Polizist, »du woastas!«
Sie fängt an zu weinen, aus dem Wohnzimmer hört sie Geräusche.
Dort wird die Beute gesucht, es war ein Raubmord. Der Kaffee in der Filterkaffeekanne verbreitet den grauslichen angesengten Geruch, den Kaffee immer annimmt, wenn er zu lange auf der Wärmeplatte steht. Sie hätte gerne einen Schluck, heiß und schwarz, aber sie traut sich nicht, irgendetwas zu sagen.
»Gib’s zua, du woastas, mia kenna eich Tschuschngsindl, gib’s
zua! Samma schnölla featich.«
Dragica muss mitfahren. Fingerabrücke, DNA-Abstrich, Einvernahme, Protokoll. Erst auf dem Wachzimmer erfährt sie, wer umgebracht worden ist: die alte Frau Auinger.
Sie weint gleich wieder, eine so liebe Frau! Dragica hat für sie eingekauft, ihr im Haushalt geholfen, manchmal auch geputzt, ist mit ihr zum Arzt gegangen, weil die alte Dame nicht mehr gut gesehen hat und nicht mehr gut auf den Beinen war.
Tot?
Die arme Frau Auinger; mehrere Kieberer versuchen gleichzeitig und abwechselnd, ihr ein Geständnis abzuringen. Einer geht hinaus, kommt zurück, sagt: »Mia haum Beweise, gib’s zua.«
Das ganze Verhör dauert, bis es Zeit ist, die Kinder von der Schule abzuholen.
Die Polizei weiß schon alles: Die Frau Auinger ist ermordet worden. Ihr Sohn hat sie gefunden, Geld ist gestohlen worden und irgendetwas Wertvolles. Alles ist voller Blut.

Klopapier darf niemals fehlen
Die Einbrecherin wartete, bis sich Frau A. aufs Klo zurückzog. Aber dort war kein Klopapier, Frau A. musste also das Klo vorzeitig verlassen ... Daran sieht man wieder, was wirklich wichtig ist. Jedenfalls wird der Mord im Zinshaus sehr wienerisch geklärt. Vor allem ging es Autorin Awadalla – Millionengewinnerin bei Assinger – im ersten Krimi um dumme Vorurteile.
Kurier



Am Anfang geht es um einen seltsamen Mietvertrag. Dann liegt eine Rentnerin tot in der Wohnung, mit einer Krücke erschlagen, und der Mieter Gruber von unten mit seinen starken voyeuristischen Neigungen sagt der Polizei, er habe kurz vor dem Mord „die Putzfrau“ aus der Wohnung kommen sehen. Die Putzfrau Dragica hat serbische Vorfahren und kann es eigentlich nicht gewesen sein. Was aber den Ermittler Kowarik mit stark rassistischen Neigungen nicht davon abhält, nur gegen Dragica zu ermitteln. Die verliert dabei ihren Job, ihre Wohnung, ihr soziales Umfeld. In sparsamen Sätzen, meistens im Ton einer Reportage, schreibt El Awadalla über einen Fall, den es so ähnlich gegeben hat. Die absurde Geschichte kontrastiert mit dem schlichten Tonfall aufs Feinste. Zumal die Autorin keinesfalls neutral ist und die gefährliche Beschränktheit der Wiener Polizei sehr schön bloßstellt. Das Problem ist, wie in Deutschland, nicht ein rassistischer Ermittler. Das Problem sind die vielen Kollegen, die ihn gewähren lassen.
Zu viele Putzfrauen ist ein sauber gebauter Krimi (der am Ende sehr schön die Kurve kriegt zu dem lange Zeit seltsam allein herumstehenden Anfangskapitel bekommt), es ist auch ein wütendes und komisches Buch über Verhältnisse, die hingenommen werden. Etwa die dauernden Durchstechereien der Polizei, wenn es darum geht, die Presse für die Ermittlungen einzusetzen. Und die willige Presse, die Verdächtige so präsentiert, als stünde ihre Täterschaft fest – wenn sie fremdländisch sind.
Erst aus der Nähe betrachtet merkt man, dass die Dinge komplizierter sind. Und dass der Titel Zu viele Putzfrauen weniger witzig, dafür präziser ist, als man anfangs meint.
Für Dialektunkundige hat das sehr komische und sehr traurige Buch ein Glossar für all die Dialoge im schwersten Wiener Dialekt. Etwa was der Satz bedeutet „Na doa kriag i Leis im Mogn“: „Nein, da kriege ich Läuse im Magen“.
Ultimo Münster & Bielefeld, Alex Coutts, Juli 2020


orf.at


Rezensentin Susan Vahabzadeh klärt uns zu Anfang auf, dass es die alten - in diesem Fall: Wiener - Arbeiterviertel seien, in denen "Originale" wohnten - und in Ottakring es offenbar immer noch tun. Im Milieu einer solchen Ansammlung von kuriosen Charakteren spielt dieser Krimi. Seine Besonderheit ist der Wiener Dialekt, der ausführlich zu Gehör gebracht wird und, wie die Kritikerin freundlich anmerkt, zudem mit einem Glossar für schwerere Fälle ausgestattet ist. Der Raubmord an einer alten Dame in Ottakring soll aufgeklärt werden durch einen Kommissar, der ein "Rassist aus Denkfaulheit" ist, erfahren wir. Dem sind dann aber alle anderen genügend überlegen, so dass die Lösung des Falles unter Beigabe von viel Sarkasmus und trockenem Witz, so die angetane Rezensentin, trotz des Polizisten gelingt.
Süddeutsche Zeitung,
Perlentaucher, April 2020

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